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Zuckersüßer Horror: Ein Abstecher zum Doki Doki Literature Club (Review)

Die Warnungen sind nicht übertrieben...

Wenn man sich auch nur leicht für Visual Novels interessiert, wird einem früher oder später wohl irgendwo, irgendwer Doki Doki Literature Club empfehlen - gerade auch weil es das Spiel über sein Genre hinaus zu Bekanntheit gebracht hat. Nach meinem Besuch im erweiterten Steins;Gate-Universum (aka der Science Adventure Reihe von Chiyomaru Shikura und Mages) war es wohl absehbar, dass ich den überschwänglichen Empfehlungen für den Doki Doki Literature Club wohl auch irgendwann nachgeben werde. Und ich muss zugeben, dass ich das Spiel anfangs auch nicht ganz erst genommen habe.

 

An Informationen und milden Spoilern hatte ich sehr wenig. Ich wusste nur, dass das Spiel als eine Art Dating-Sim aufgebaut ist, aber mit einem blutigen Twist und dass einer der Charaktere meine Entscheidungen nicht ganz so kampflos akzeptieren soll. Da kann man sich viel darunter vorstellen. Doki Doki Literature Club war jetzt nicht meine erste "Horror"-Visual Novel, denn Chaos;Head und Chaos;Child beinhalten die Möglichkeit ihren gesamten Plot als eine Art Horrortrip zu erleben.  Nur der aktive Dating-Sim-Aspekt war da für mich neu.

 

Was mich gleich zu Beginn überraschte, waren die eindringlichen und sehr prominent platzierten Warnungen vor den Darstellungen von Gewalt und psychologischen Trauma. Diese erfüllen nicht nur ihre Aufgabe als "Inhaltswarnung", sondern sind auch Werbematerial. DDLC will überraschen und dabei auch einige vorgefertigte Meinungen durchbrechen. Teils indem man sich zuerst Mühe gibt diese Meinungen zu bestärken.

 

Wie soll man sich das vorstellen? Der Dating-Sim-Aspekt von DDLC bietet auf den ersten Blick viel von dem was man sich als Anime- oder Manga-Klischees vorstellen würde: eine quirlige Sandkastenfreundin von nebenan, die vielleicht mehr für einen empfindet, eine schüchterne Literaturliebhaberin, die sehr intensive Emotionen verbirgt und eine zunächst abweisende "Lolli", die sich ebenso hinter einer Fassade versteckt. Und dann wäre da noch die überaus populäre Club-Präsidentin, die aber so wirkt, als wäre sie in einer ganz anderen Liga.

 

Damit hätte ich schon mehr von DDLC gespoiled, als ich selbst zu Beginn meines Playthroughs wusste. Ohne die Twists im Spiel anzusprechen müsste man es bei einer Beschreibung des halben ersten Kapitels belassen, in dem alles noch dem mehr oder weniger vertrauten Romance-Plot zu folgen scheint.

Man kann die Romanzen durchaus auch als solche verfolgen, das Problem ist halt eher das Happy End, das einem nämlich nicht garantiert wird. Am Ende habe ich es aus bestimmten Gründen auf mehrere Playthroughs gebracht, was auch dank der unter den Optionen (in diesem Fall meines ersten Playthroughs noch ausgegraut) erkennbaren Skip-Funktion erleichtert wird. Ein derartiger >> Schnellvorspiel-Modus ist für Visual Novels nichts ungewöhnliches und spielt im Schnelldurchlauf alle Dialoge ab, die man schon kennt. Sobald man jedoch zu einem Dialogschnipsel kommt das man noch nicht kennt bzw. wenn man vor einer Entscheidung steht wird der Skip beendet. So kann man praktisch bei jedem neuen Spiel vom Start bis zum ersten Gedicht den Autoskip nutzen. Neben den Entscheidungen gibt es ein Gedichte-Minigame, bei dem man mit den passenden Worten Pluspunkte bei einer seiner drei Herzensdamen sammeln kann. Dafür gibt es in den Files am Ingame-Desktop auch eine Datei mit der man etwas schummeln kann, da diese alle "Lieblingswörter" der Damen enthält (etwas das ich anfangs auch noch nicht wusste, sodass mein zweites Gedicht etwas zu Yuri-lastig wurde und dann eine der "persönlichen Szenen" mit ihr triggerte).

Der Desktop mit seinen Funktionen ist natürlich mehr als nur ein Gimmick und wird am Ende sogar für das Erreichen der Credits relevant. Kurz gesagt, ich wusste anfangs noch gar nicht, dass mein erster Playthrough eigentlich noch nicht vorbei war, obwohl ich eine Art Sackgasse am Ende der Story erreicht hatte. Aber das grenzt schon an einen der zentralen Spoiler des Spiels.

Womit DDLC sehr gerne zu spielen scheint ist foreshadowing und das machte durchaus den Reiz des Spiels für mich aus, da ich ja noch nicht viel von den wichtigen Twists wusste. Für mich wirkte DDLC im ersten Playthrough wie ein potentielles Liebes-Drama, in welchem womöglich persönliche Konflikte unter den Love interests zu einem blutigen Ende führen könnten. Soweit meine Annahme und zu 100% liegt man mit dieser Vorstellung ja auch nicht falsch, ohne zuviel zu verraten.

Betreten wir langsam das Spoiler-Territorium.

 

Ich habe ja angesichts der Ankündigung, dass das Spiel Horrorelemente, grafische Szenen und psychologische Elemente enthalten soll einiges erwartet, insofern traf mich das Ende von Kapitel 1 bei weitem nicht so hart. Ich ging ursprünglich, anhand von halb vergessenen Reviews, sogar davon aus, dass es ein Clubmitglied gibt, dass entstehende Beziehungen sabotieren will. Soviel wusste ich also, irgendeine der Damen will meine Romanze zerstören. Aber ich ging halt davon aus, dass sich die betreffende auch an das Narrativ halten würde...

 

Mein Verdacht war daher zu Spielbeginn Sayori wäre die heimliche Psychopathin und daher war ich bemüht mich mit ihr gut zu stellen - Bestes Ende, niemand stirbt! So sah aber nur meine Zielsetzung aus. Die Realität war, dass ich schon bei meinem zweiten Gedicht versehentlich (da wusste ich noch nichts von den Triggerwort-Listen) Yuri Avancen machte. So Kopf an Kopf mit ihr ein Buch zu lesen war zwar sehr romantisch, ich sah darin aber auch eine verlorene Chance für mehr Pluspunkte bei Sayori. Und meiner Theorie folgend ging ich davon aus, Yuri hätte sich so nun zum Ziel gemacht. Etwas war ich ihrem Charme da aber schon erlegen, mein Versuch mit dem dritten Gedicht Sayori wieder zufriedenzustellen endete aber damit, dass sie sich frühzeitig aus dem Club verabschiedete. Mir schwante übles, so als würde sie daheim schon die Messer wetzen und Yuri nach der Schule überfallen. Wobei, ich war mir auch nicht ganz unsicher, ob Sayoris Zorn mich treffen könnte.

 

Ich möchte niemanden ähnlicher fehlgeleiteten Theorien berauben, denn mir hat der spätere Reveal einigen Spaß gemacht. DDLC mit der tatsächlichen Antagonistin zu bewerben erscheint mir etwas zu spoilerhaft. Ich habe mich bei meinem Playthrough aber auch bemüht, potentielle Spoilerquellen zu vermeiden. Dummerweise bin ich aber irgendwann einmal auf ein Cover mit Monika und nur Monika gestoßen, was schon etwas zuviel des Guten war.

 

Meine erste Reaktion auf Sayoris Selbstmord: FUCK! Lag das jetzt an dieser einen Szene mit Yuri? Immerhin lag das Spiel da noch ganz in meiner Erwartung, dass meine Entscheidung Unheil und Leid über den Club bringen werden. In anderen Worten, Inspektor Pfannenstiel entschied sich, Sayoris Selbstmord ohne Fremdschulden einzustufen. Da könnte der Plot doch einfach weitergehen.

 

Aber das Spiel fing einfach noch einmal von vorne an, so als hätte es Sayori nie gegeben. Da war mir klar, dass das Narrativ von Kapitel 1 wohl nicht ernst genommen werden kann. Irgendwie war das auch etwas enttäuschend für mich, denn nach Spielen wie Life is Strange oder Chaos;Child hatte ich die Erwartungen, es würde nun unter dem düsteren Eindruck eines Selbstmords weitergehen. DDLC belehrte mich aber eines besseren und das Spiel begann zu glitchen.

Mit dem ersten bold text war mir klar, jemand will hier Einfluss auf die Story nehmen (und der Text klang für mich sehr nach einem Depressions-Einschub, was entweder auf Sayori hinwies oder dass jemand Yuri genauso wie Sayori "umzuschreiben" und Worte in den Mund zu legen versucht). Und es wurde noch offensichtlicher, als sich die "Glitches" häuften. So sehr ich mir noch einzureden versuchte Sayoris Geist oder digitaler Geist würde versuchen mir meine Yuri-Romanze madig zu machen - es endete alles, als sich Monika bei einem der Dialoge einfach vor die Textbox stellte. Da dachte ich wieder an das Cover-Bild mit Monika und musste mir eingestehen, dass das wohl schon ein Spoiler gewesen ist. Sich vor die Textbox zu stellen ist praktisch die vierte Wand zu durchbrechen. Was mir allerdings noch fehlte war ein Motiv und das Wissen, wie weit Monika bei ihren Interventionen gehen kann. Für den Großteil des zweiten Kapitels sah ich das Spiel als einen Kampf gegen Monikas Interventionen und dieser war nicht zu gewinnen.

  

Yuri nimmt sich mit einem Messer das Leben. Und sie tut das übrigens in jeder "Storyline", auch wenn man sich statt um sie, um eine Beziehung zu Natsuki bemüht hat. Monikas Motiv ist am Ende, dass sie als NPC/Questgeberin ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat und sich nach Kontakt zum Spieler sehnt, der ihr aufgrund der Rahmenbedingungen des Spiels aber nicht ermöglicht wird. Sie findet jedoch Möglichkeiten in die "Charakterdateien" ihrer vermeintlichen Rivalinnen einzugreifen und das schafft auch einen der wichtigsten Diskussionspunkte - enthüllt uns Monika durch ihre Eingriffe die wahren Persönlichkeiten und Probleme der anderen oder schreibt sie diese nur für ihre Zwecke möglichst bösartig um. Aus Yuris heimlicher Obsession mit Messern wird etwa ein richtiger (sexueller) Fetisch, bei dem Monika Yuris langärmligen Pullover in Kapitel 1 damit erklärt, dass sie so eben ihre Schnitte versteckt. Selbst Yuris "obsessives Verhalten" bringt Monika zur Eskalation, vor allem in einem Kapitel 2 in welchem man sich eigentlich für Natsuki entschieden hat. Damit verglichen, hatte Monika weniger offensichtliche Probleme damit Sayori zur depressiven Selbstmörderin zu machen (etwas das übrigens auch eine der Sidestories zu bestätigen scheint), auch wenn es die Szenen gibt, in welchen Sayori etwas (Monika) aus ihrem Kopf vertreiben möchte. Natsuki kommt noch am besten davon, weil sie Monika bis auf eine kurze Szene (mit Genickbruch) nicht endgültig ermordet. Dafür erklärt Monika Natsukis sehr junges Aussehen dann damit, dass sie aufgrund Unterernährung einfach auch unterentwickelt geblieben sein könnte. Da ich mich durch die Sidestories zeitweise auch etwas durchgeskippt habe kann ich mir nicht sicher, ob ich nicht irgendwo etwas übersehen habe. Aber ich würde mir schon die Frage stellen, ob dieser Sidecontent von Monika unbeeinflusst geblieben ist. Wäre dem so, dann wäre Monika wahrscheinlich nicht der Auslöser von Sayoris Depressionen, sondern nur noch ein verstärkender Faktor. Die Sidestories sind meiner Meinung nach durchaus interessanter Content, da sie die Vorgeschichte des Literatur Clubs beleuchten und wie die 4 Mädchen aufeinander getroffen sind. Neben Sayoris Depressionen (die sie nicht nur gegenüber Monika zur Sprache bringt) scheinen mir die Sidestories aber sehr wenig über die "Eskalation" des Narrativs im Hauptspiel zu verraten. Die Sidestories sind also eher netter Sidecontent, bei dem noch keine vierte Wand durchbrochen wird.

 

Sayori wird unter dem Einfluss Monikas zur Selbstmörderin, Yuri eine egoistische obsessive Blut- und Messer-Liebhaberin, aber zumindest Natsuki steht am Ende nicht so schlecht da. Die Sidestories machen deutlich, dass sich Natsuki eher damit herumplagen musste, dass fast ihre gesamte Umwelt ihre Leidenschaft für Manga nicht respektierte. Ihre "Unterernährung" taucht als Plotpunkt meinem Eindruck nach, aber nur in der Main Story auf und da primär im zweiten Kapitel. Das erste Kapitel und auch die Sidestories lassen es eher so klingen, als hätte sie sogar ein relativ "normales" Sozialleben, mit Shoppingtrips, Karaoke & Co. Nur zu Hause, da scheint es doch einen Grund zu geben, dass sie ihre Manga-Sammlung in ihrem Schul-Spind versteckt. Ich habe es fast bereut, zuerst Sayori und dann Yuri Natsuki vorgezogen haben. Monika will aber auch nicht, dass man mit Natsuki zu weit kommt. So schiebt sie einem im zweiten Kapitel ja auch Yuri unter, selbst wenn man alles versucht hat, um mit seinem zweiten Gedicht bei Natsuki zu punkten. Das in den Sidestories auch behandelte angespannte Verhältnis zwischen Monika und Natsuki lässt aber wenig Zweifel daran, dass sie sich von Natsukis Offenherzigkeit bzw. "Bodenständigkeit" bedroht fühlt. Es ist ja auch Natsuki, die im zweiten Kapitel in einem ihrer Gedichte heimlich auf die Veränderung von Monikas Charakter hinweist.

 

Unterm Strich ist DDLC ein interessantes Spiel-Erlebnis, das durchaus einige psychische Probleme aufgreift, die definitiv zu den Dingen gehören, die nicht gerade zu einer Wohlfühlatmosphäre beitragen. Depression, obsessives Verhalten, Vernachlässigung, Selbstmord - alles Dinge, über die man aus irregeleiteten moralischen Gründen schon mal den Mantel des Schweigens breiten kann. Aber wer ist als Teenager nicht selbst auch auf diese Schattenseiten unseres Daseins gestoßen? Mir kommt so einiges an den "Eskalationen" vertraut vor, es wurde nur hin und wieder übersteigert, aber selbst das kann in der Realität passieren. Das erschreckende für mich ist nicht die visuelle Aufbereitung des Contents, sondern dass Monika durchaus realistische Grundlagen für das Aussortieren ihrer Rivalinnen nutzen kann. Yuris Selbstmord ist vielleicht der weniger "wahrscheinliche", aber nur weil ihr obsessives Verhalten am Ende von Kapitel 2 sie wie eine Stalkerin erscheinen lässt, die das Messer genauso gut dem Objekt ihrer Besessenheit in den Bauch rammen könnte. So gesehen ist DDLC ja doch irgendwie ein Spiel, das sich mit meinen ursprünglichen Erwartungen deckt. Die Mörderin handelt nur weniger direkt und das tatsächliche Narrativ ist im Endeffekt überraschend beschränkt, denn man kann im Grunde weder die Abfolge, noch die Ausführung der Morde beeinflussen.  In diesem Sinne ist das Spiel wiederum fast enttäuschend, aber das kann ich jetzt auch erst nach mehreren Playthroughs und 17h mit Achievementjagd und Sidestories  behaupten. Da kommt mir eine der freundschaftlichen Empfehlungen für DDLC in den Sinn, die mich überzeugt haben "Man sollte es zumindest erlebt haben". Post-Game, Langzeitspielspaß - damit kann mir DDLC leider nicht dienen, denn die Überraschungen vom ersten Mal (durch die verschiedenen Routen) lassen sich nicht wiederholen.