Diese vermeintlich obskure und vor allem überlange JRPG-Reihe (hinsichtlich des Titels und der bisherigen Teile) lässt mich nicht los, sodass ich jetzt schon auf Teil 4 und 5 zurück blicken kann...

Als ich mit Trails in the Sky 1 anfing wusste ich ja schon, auf was ich mich da einlasse und nach der Sky-Trilogie (oder dem Liberl-Arc, je nachdem wie man die Trilogie nennen will) bin ich endlich in Crossbell angekommen, dem Story-Arc der für manche der beste der ganzen Reihe ist. Und ich muss schon sagen, für mich ist diese Duologie (Trails from Zero und Trails to Azure) auch der bisherige Höhepunkt meiner Reise durch dieses Franchise. Crossbell ist eine Mischung aus Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, Belgien vor dem ersten Weltkrieg oder auch dem modernen Hong Kong (wobei die Inspirationen für die japanischen Entwickler in Singapur, Taiwan, Kashmir, Macao und Hong Kong gelegen sein könnten) - ein Stadtstaat der von Ost und West bedroht wird und nur deshalb unabhängig ist, weil beiden Nachbarstaaten an einer Pufferzone gelegen ist. Politisch ist das Land zerrissen zwischen zwei Fraktionen die sich entweder mit dem Kaiserreich Erebonia oder der Republik Calvard verschworen haben, eine Spaltung die sogar die kriminelle Unterwelt betrifft. Doch zumindest die Wirtschaft boomt, denn Crossbell gilt als Handelszentrum des Kontinents und ist sogar Sitz der international agierenden Bank IBC.
Auch Liberl wirkte schon von Erebonia bedroht, doch Crossbell hat es noch schwerer, da es genau zwischen Erebonia und Calvard liegt, wobei man bei Calvard auch keinen Rückhalt findet. Das macht die Lage etwas schwieriger, denn Liberl hatte nach seinem 100-Tage-Krieg mit Erebonia einen Sieg und immerhin seine unangefechtete Unabhängigkeit. Crossbell besitzt hingegen keine richtige Unabhängigkeit und wird von beiden Seiten wie eine Art Freistaat betrachtet, den man im Kriegsfall einfach überfahren würde. Crossbell darf nicht einmal ein wirkliches Heer besitzen, sondern nur die CGF (Crossbell Guardian Force) was mich an Bestimmungen des österreichischen Staatsvertrages erinnert, der auch Beschränkungen hinsichtlich der Wehrfähigkeit Österreichs gegen NATO und Warschauer Pakt beinhaltete. Da fühle ich mich Crossbell fast verbunden, aber in der Story spielen Fragen der Neutralität gar keine so große Rolle, eher dass das Land als Drehscheibe krimineller und korrupter Mächte aus dem "Ausland" genutzt wird.
Die Story beginnt mit dem frisch gebackenen Detective Lloyd Bannings, der in die Fußstapfen seines in der Dienstausübung ermordeten Bruders treten will. Und damit ist man schon auf einem anderen Pfad unterwegs als in der Sky-Trilogie, wo der Fokus auf der Bracer-Gilde lag. Crossbell bietet eine Cop-Story, webt dieser aber auch in das umfangreiche World Building aus dem Vorgänger-Trilogie ein. Crossbell hat nämlich ein Problem, durch die politischen Komplikationen traut man der Polizei nicht recht und auch die CGF scheint kein ganz zuverlässiger Freund und Helfer zu sein - weshalb die Bracer-Gilde hier hoch geachtet wird und mit Arios MacLaine (klingt ja auch fast wie John McClane aus Stirbt Langsam) einen A-Rank-Bracer hat der so heldenhaft auftritt, dass er sogar die "Beförderung" zum S-Rank ausgeschlagen hat. Als Divine Blade of Wind gilt MacLaine als einem Cassius Bright fast ebenbürtig. Doch wie schon in der Sky-Triogie gibt es Aufgaben denen sich die Bracer nicht annehmen können, da es ihre Charta verletzen würde und zudem will die Gilde ja unabhängig von staatlichen Autoritäten sein. Der Volksheld Arios MacLaine wäre also vielleicht gar nicht zur Stelle, wenn Crossbell eine Invasion oder ein politischer Umsturz drohen würde.
Weniger Monsterjagd und mehr Detektivarbeit, damit lässt sich die Crossbell-Duologie von den Vorgängern abgrenzen. Gameplay-Technisch wurde wieder etwas nachgebessert und mir fielen zunächst geänderte Tastenbelegungen auf. Die Spiele laufen wunderbar auf dem Steam Deck, aber das war auch schon bei der Sky-Trilogie kein Problem. Sie sehen zwar besser, aber nicht sehr viel besser aus. Was sich wirklich geändert hat ist der Umfang des Gameplays und der World Map. Crossbell ist eine Stadt mit mehreren benachbarten Dörfern und natürlich wieder Toren zu den Nachbarstaaten, welche wie Grenzposten vom Militär bewacht werden. Soweit so gut, es wirkt jedenfalls etwas kleiner. Und damit einher geht auch der Eindruck, dass man sich tatsächlich weniger mit Monstern herumschlagen muss. Die Special Support Section des Crossbell Police Department ist ja auch nicht für die Monsterjagd geschaffen worden, sondern als Versuch eine staatliche Stelle zu schaffen, die der Bevölkerung entgegenkommt und Vertrauen in Crossbells Regierung aufbaut. Entsprechend kommt es gerade anfangs zu einigen Reibereien mit den etablierten Detectives, welche auch die kriminelle Unterwelt beobachten. Copstory ja, aber keine mit massiver Korruption im Polizeipräsidium - so würde ich die Story auch beschreiben. Crossbells Problem ist keine aktive Beteiligung der Polizei an kriminellen Aktivitäten, sondern viel mehr die Untätigkeit und Kaltblütigkeit der Detectives. Crossbells Polizei scheint gar kein Interesse daran zu haben, Freund und Helfer zu sein, um die hearts and minds der kleinen Leute zu gewinnen, man meint wichtigeres zu tun zu haben. Und genau dagegen wollte Bürgermeister MacDowell etwas unternehmen. Die SSS wirkt zunächst wie eine einfache PR-Truppe, mit Lloyd hat man jedoch als informellen Anführer durchaus jemanden, der sich seine Sporen als Detective verdient hat. Lloyd kann kombinieren und analysieren, er hätte auch in anderen Abteilungen bei der Polizei eine Chance gehabt. An Lloyds Seite gesellen sich jedoch auch der Ex-Soldat Randy Orlando, das Wunderkind Tio Plato und die Enkeltochter des Bürgermeisters Elie MacDowell. Man glaubt das Szenario zu kennen, da wird eine Sondereinheit aus den Außenseitern geformt und die bewährt sich mehr als die Elitetruppe. Aber ist das in Crossbell auch so? Nur bedingt. Lloyd ist wie gesagt durchaus jemand mit dem Zeug zum Top-Detective und schon sein Bruder hat dem Namen Bannings alle Ehre gemacht. Das ehemalige Mitglied der CGF Randy ist vielleicht noch eher ein zweifelhafter Charakter, aber nur auf dem ersten Blick, denn an den Gerüchten seiner unehrenhaften Entlassung ist nichts dran und das Team kann gegen die kampferprobten Schläger der Mafia durchaus jemanden mit der nötigen Schlagkraft gebrauchen. Tio scheint vielleicht zu jung, unerfahren oder in einer Sondereinheit vergeudet zu sein, doch das Wunderkind irgendwo hinter einem Bildschirm versauern zu lassen, lag nicht in ihrem Interesse und dazu kommt noch, dass Tio aufgrund ihrer zunächst mysteriösen Vergangenheit über besonders geschärfte Sinne verfügt. Bliebe noch Elie MacDowell anzuzweifeln, die allerdings mit Bestnoten durch die Aufnahmeprüfung der Polizei gekommen wäre, hätte ihre familiäre Verbindung sie nicht daran gehindert, den Polizistenberuf ergreifen zu dürfen - jedenfalls auf normalen Wege. Selbst der Chef der Truppe, Chief Sergei, ist kein ganz so bunter Hund, sondern durchaus ein hartgesottener Charakter, dem die politischen Probleme Crossbells auf die Nerven gehen. Mehr Dreamteam als B-Mannschaft vielleicht? Die Special Support Section wirkt beim zweiten Blick viel plausibler als es mögliche Klischees erwarten lassen.
Wie schon in der Sky-Trilogie kommt das beste erst zum Schluss oder jedenfalls mit der Zeit. Auch in Crossbell werden die Origin Stories und persönlichen Probleme der Protagonisten und namhafter Support Charaktere erst mit der Zeit enthült. Trotzdem finde ich, dass die Duologie ein besseres Pacing besitzt als die Vorgänger. Schon in Trails from Zero passiert einiges und wir erhalten wertvolle Einblicke in die verschiedenen Charaktere. In Trails to Azure wiederum scheinen sich die Ereignisse regelrecht zu überschlagen und die Story startet schon immens temporeich. In Trails in the Sky 1 und 2 war die Teilung des Plots noch aus der Not geboren, weil man das halbe Spiel veröffentlichen musste. Und Teil 3 war dann ein Epilog. Die Crossbell-Duologie wurde hingegen schon so konzipiert, dass Teil 1 Fragen offen ließ und Teil 2 das passende Setting beschaffte. So gesehen ist die Story von Trails from Zero nicht in sich geschlossen und braucht sein Sequel. Wobei auch Trails to Azure gewisse lose Fäden für spätere Spiele bereit hält. Der Peak der Story in Trails to Azure kann sich jedoch sehen lassen, denn vieles was in Teil 1 nur angedeutet wurde, kommt dann mit voller Wucht. Trails from Zero greift wiederum auch den losen Faden um Renne und die Brights aus der Sky-Trilogie noch einmal auf und arbeitet auf ein Finale dieses Story-Arcs hin. Natürlich weiß ich heute schon, dass Crossbell wohl auch in Trails of Cold Steel IV und vor allem Trails into Reverie noch eine gewichtige Rolle spielen dürften. Aber heute sind es auch schon 13 Spiele, die aus dieser Reihe erschienen sind und ich bin aktuell erst beim 6. Teil angekommen (Trails of Cold Steel 1 - das zeitlich noch vor Trails to Azure angesiedelt sein dürfte).
Was mich an den Trails beeindruckt ist das World Building, ich kann zwar keine allzu große Begeisterung für die Metaphysik um Göttin Aidios und die Kirche aufbringen, aber hinsichtlich der politischen Verwicklungen, persönlichen Verbindungen und Charakter-Arcs haut mich das Franchise fast aus den Socken. Der Preis dieses Erlebnisses ist allerdings, dass es durchaus zähe und einfallslose Nebenquests, sowie sehr träge Passagen in der Story geben kann. Das Combat-Gameplay ist aber auch rundenbasiert und so ist die Reihe ohnehin etwas, das man manchmal als Slowburn genießen muss.