Direkter als bei Outer Worlds und Mass Effect Andromeda kann man bei Dragon Age: The Veilguard und (Pillars of Eternity:) Avowed nun einen Vergleich zwischen dem modernen BioWare und Obsidian ziehen...

Eines gleich voraus, ich habe Pillars of Eternity 1-2 noch nicht gespielt und zur Einstimmung auf Avowed neben meinem Outer Worlds Playthrough nur einige Lore-Videos (vorwiegend von Mortismal Gaming) zu Rate gezogen, um mein Verständnis des World Buildigungs zu vertiefen und einen Blick auf das größere ganze im Hintergrund zu erhalten. Gekauft habe ich es außerdem auch nicht, sondern nur im Rahmen eines Monats Xbox Game Pass quasi-abonniert (damit sich die Xbox wieder mal rentiert). Mich über die Lore zu informieren hat sich in meinen Augen mehr als nur bezahlt gemacht, denn es hat auch mein Interesse an einem künftigen Pillars of Eternity 1-2 Playthrough geweckt, sowie am Rande auch noch an Larians Divinity Original Sin-Duologie.
Etwas über die Lore und damit die Story der beiden Vorgänger informiert zu sein, macht Sinn, ist laut den Entwicklern aber nicht notwendig. Avowed wurde als eine Art Spinoff von Pillars of Eternity konzipiert, da es buchstäblich ein Abstecher in die Living Lands ist, eine Region, die in vielerlei Hinsicht vom Rest der Welt getrennt existiert. Trotzdem bringt man als Charakter, ebenso wie die Kolonisten dort, die Altlasten seiner Herkunft mit sich, sodass die Lore der Vorgänger doch relevant bleibt. Und so einiges wie das Deadfire Archipel (aus Pillars 2) wird immer wieder erwähnt. Natürlich muss man das Deadfire Archipel nicht kennen, um zu verstehen, dass es ein Archipel als Region gibt und dort relativ wichtige Schlachten geschlagen und ein Gott sein Unwesen getrieben hat.
Mit etwas Einblick in die Lore hat sich für mich auch die Frage aufgetan, inwieweit ein Vergleich mit Dragon Age zulässig ist, da die Dragon Age Saga in meinen Augen viel zu lose Verbindungen zueinander unterhält. So ließe sich DA 2 am ehesten mit Avowed vergleichen und damit auch als Spinoff bezeichnen, weil es nichts zum Konflikt mit der Dunklen Brut oder vergessenen Göttern beiträgt, aber dann gibt es den DA2 DLC, welcher den Antagonisten von Dragon Age Inquisition einführte. Auch Avowed soll noch DLC erhalten, was die Verbindungen zu Pillars of Eternity durchaus noch weiter vertiefen könnte. Pillars of Eternity als Serie kümmert sich anders als Dragon Age (das sich meiner Meinung nach regelmäßig neu erfindet) mehr um sein zentrales Thema, die Götter, ihre Machenschaften und das metaphysische Rad, welches die Reinkarnation aller Verstorbenen garantiert.
Sieht man einmal von den gekünstelten Wokeness-Debatten ab, dann begegnen sich Avowed und Veilguard in sehr unterschiedlichen Phasen ihres jeweiligen Franchises. Avowed ist ein Spinoff, das dem Franchise einen neuen Spin geben soll, indem es sich auf eine 3D-Perspektive (anstatt der isometrischen) und einen Skyrim-Look stützt. Veilguard hingegen ist ein vorläufiger Endpunkt für die Stories, welche seit Dragon Age Origins erzählt wurden und soll daher eher ein episches Finale sein. Dementsprechend fehlt mir an Avowed auch das, was Dragon Age 4 für mich gut gemacht hat: epische Szenen, eine Story mit der man mitfiebern kann und Story-Arcs die ich seit mehr als einem Jahrzehnt mitverfolgt habe. Avowed hätte durchaus in die gleiche Kerbe schlagen können, hätte es Pillars of Eternity 3 sein wollen, da Pillars 2 ähnlich dramatisch endete wie Dragon Age 3 (Inquisition). Trotzdem gefällt mir Avowed und zwar gerade weil es alte BioWare-Traditionen beschwört, nämlich eine Story bei der einem schlussendlich ein zweiter Playthrough auf der "dunklen Seite" oder zumindest anderen Seite schmackhaft gemacht wird. Ich habe Avowed nämlich so gespielt, wie ich ein BioWare-RPG spielen würde, also als möglichst heldenhaft um das Allgemeinwohl bemühter Charakter und oft wurde mir das gar nicht so einfach gemacht. Man hätte aber auch mit mehr Gewalt statt Einfühlungsvermögen zum finalen Akt gelangen können. In Veilguard vermisse ich etwas von diesem Gestaltungsspielraum mit den multiplen Enden und der Möglichkeit sich auf die Seite der "Bösen" zu schlagen. Veilguard lockt mich aber auch zu einem zweiten Playthrough, mit einer moderneren BioWare-Tradition aus den SWTOR-Jahren. Auch wenn das Ende in Stein gemeißelt ist, ich wüsste gerne wie sich die alternativen Dialog-Entscheidungen und der Charakter-Hintergrund auswirken können. So wie in SWTOR eben, wo sich das Endergebnis auch oft nicht ändern ließ, die "Qualität" der Story aber von klassenspezifischen und frühere Entscheidungen berührende Dialog-Elemente abhing.
Eine große Stärke des BioWare-Storytellings waren immer Gefährten und auch das ist eine Kategorie in der Obsidian BioWare mit Avowed Konkurrenz machen kann. Waren die Gefährten in Outer Worlds noch eher darauf beschränkt Wortmeldungen zur Umgebung oder der Story beizusteuern, während sie eher kurz gehaltene Gefährtenstories hatten, so stützt sich Avowed durchaus auf umfassendere Gefährtenstories, die durchaus an Loyalitätsmissionen wie in einem Mass Effect 2 erinnern können. Die persönlichen Geschichten der meisten Gefährten sind auch sehr stark mit denen der verschiedenen Regionen verbunden, insofern erweckt keiner den Eindruck so einfach ins Gesamtbild dazu geklebt worden zu sein. In der englischsprachigen Originalvertonung gibt es auch eine direktere Verbindung von BioWare und Obsidian, denn der Gefährte Kai wird von Garrus Vakarian Brandon Keener gesprochen und so unähnlich sind sich Garrus in Mass Effect 2 und Kai in Avowed auch nicht. Beide haben ihrem Militär gedient, sind dann aber ausgeschieden, kämpften als Söldner und suchen nun nach einem traumatischen Erlebnis nach einer neuen Aufgabe in ihrem Leben. Insgesamt gibt es vier Gefährten, wovon man sich stets 2 an seine Seite holen darf. Meine Favoriten sind dabei neben Kai der Scout Marius und die Archäologin/Magierin/Lorekeeperin Yatzli.
Avowed ist ein Spiel, das einigen Interpretationsspielraum erlaubt, was mir auch schon an Outer Worlds gefiel, das sich ja auch sehr stark bei Science Fiction-Serien wie Rick & Morty oder Futurama bediente, um Humor mit SciFi zu verbinden. Avowed wirkt ernsthafter als Outer Worlds, ist aber genauso ein Spiel, das von seinem thematischen Umfeld geprägt ist. Im konkreten Fall finde ich, dass die Geschichte der Living Lands in Avowed sich nicht so sehr an der Kolonisierung des Wilden Westens (und irgendeinem manifest destiny der kolonisierenden Zivilisation) orientiert, sondern in meinen Augen eher dem Vorgehen der Konquistadoren entspricht - was sich in der Darstellung der Steel Garotte als eigenwillige missionierungseifrige Söldnertruppe niederschlägt. Fremde Götter oder gottlose Kulturen haben keinen Platz in einer Welt, wie sie sich die militante Anhänger der Göttin Woedica vorstellen. Als Envoy of the Aedyran Empire ist man ein Vertreter des gleichen Reichs, aber die Steel Garotte ist mehr oder weniger eine eigenständige Organisation und wegen seiner religiösen Ausrichtung eher ein nicht unter imperialer Kontrolle stehender Orden. Kirchen dulden nicht gerne die Einmischung weltlicher Autoritäten und was ist schon ein Kaiser, wenn man einer Göttin dient? Noch dazu der Göttin der Ordnung, die zudem einem Zeus gleich das Pantheon der Götter anführen sollte, wäre sie nicht einst von ihren Götterkollegen dieses Amtes enthoben worden. Eine Göttin mit Machtgier und Komplexen - das kann man auch so auffassen wie einen monotheistischen christlichen Gott, der seine Scharen über die Länder "gottloser" Barbaren hertreibt. Woedica ist zwar nur eine von 11 Göttern, in Aedyr hat man ihr aufgrund ihrer Rolle im Pantheon jedoch den Status der Schutzgottheit zugestanden, was für ein expansionistisches Imperium ja auch von Vorteil ist. Die Steel Garotte als Konquistadoren oder Söldner ist so zumindest dem Reichsgedanken, wenn auch nicht einem Thron verpflichtet. Im großen und ganzen fragt man sich da, ob der Steel Garotte nicht eines Tages das Schicksal religiöser Ritterorden der realen Geschichte drohen könnte - eine Anklage wegen allerlei Verbrechen und gewaltsame Auflösung samt Vermögensentzug. Oder die Steel Garotte schafft es doch eine Art Theokratie in Aedyr zu etablieren, indem man den Kaiser entweder im angeblichen Stil der Jesuiten durch eine Marionette oder gleich mit einem dem Klerus entstammenden Regenten ersetzt.
Historisch sieht man Konquistadoren für gewöhnlich sehr kritisch und auch die Steel Garotte macht sich nicht gerade beliebt, Avowed bietet einem aber durchaus den Spielraum und ein Achievement, sich auf die Seite dieser Fraktion zu schlagen. Man kann als Woedica verehrender oder schlichtweg imperialistischer Envoy auftreten und gemeinsame Sache mit Inquisitorin Lödwyn machen. So verfehlt einem die Ideologie Lödwyns oftmals vorkommen kann, sie hat aber vielleicht nicht immer Unrecht. So gab es durchaus eine Entscheidung in der mein Widerstand gegen einen von Lödwyns Vorschlägen dann durchaus dazu führte, dass ich mir meine Sympathien bei der Bevölkerung verspielt habe. Outer Worlds bot auch schon die Möglichkeit sich trotz allem dem Board anzuschließen und diese Option bei den "Bösen" mitzumachen ist etwas, das vielen Kritikern an manchen BioWare-RPGs fehlt. Obsidians größter Wurf in dieser Hinsicht ist aber vielleicht KotOR 2, wo man für seine Entscheidung (ob nun Sith- order Jedi-Orden) von Kreia so oder so bestraft wurde. KotOR 2 ließ einen diesen dritten Weg aber auch nicht gehen, zumindest ohne Mods. Ein Twist dieses gut oder böse findet sich aber auch am Ende von Mass Effect 3, wobei das für viele zu spät kam und nicht den großen Wünschen entsprach. Avowed lässt seine Spieler schon früher aktive Pluspunkte bei der Steel Garotte sammeln, als dies erst im finalen Akt auf eine Entscheidung zu begrenzen.
Pillars of Eternity ist ein Franchise in dem die Götter keine abstrakten fernen Ideen sind, sondern sehr direkt mit der Welt der Sterblichen interagieren können. Somit ist es nicht bloß Lödwyn, die eine Antagonisten-Rolle einnimmt (sofern man einen "guten" Envoy spielt), denn auch Woedica höchstpersönlich darf sich im Spiel einige Male zu Wort melden. Dieser Aspekt der Story überraschte mich natürlich, da ich ohne Pillars of Eternity 1-2 Vorwissen nichts von der Rolle oder dem Status der Götter dieser Welt wusste. In der Lore ist es zudem so, dass die "Götter" zu diesen gemacht wurden - von einer mittlerweile untergegangenen Zivilisation, die deutlich mehr von Seelenenergie, Adra und dem großen Rad verstand als alle seither entstandenen Staaten. Eine Ähnlichkeit zur Welt von Dragon Age, wo die Götter der Elfen einst auch nur eine Gruppe mächtiger Magier waren. Die Seelen-Thematik aus Avowed und wohl auch dem restlichen Franchise erinnert mich auch eine Spur an die Minbari aus Babylon 5. Seelen werden wiedergeboren, können aber unter Defekten leiden, sich sogar in zwei verschiedenen Körpern wiederfinden oder ausgelöscht werden, wodurch sie für das Rad, also den Wiedergeburts-Kreislauf, verloren gehen können. Zudem ist es möglich Seelen als Energiequelle zu benutzen, was diese wiederum zurückhält. Soweit zumindest mein Verständnis der Sache. Dazu kommt noch, dass der gesamte Kreislauf nach PoE 2 vermutlich erschüttert wurde oder sogar in einigen Generationen zum Erliegen kommen könnte.
Weil wir schon dabei, der Spielercharakter als godborn ist nicht bloß ein Gesegneter seiner Gottheit, sondern eigentlich auch eine Energiequelle für diesen. Aus diesem Grund gibt es nur noch so wenige godborn, denn nach den Erschütterungen der göttlichen Ordnung in PoE 2 scheinen die meisten Götter ihre Schützlinge zum eigenen Erhalt geopfert zu haben. Woedicas Taten in Avowed könnten auch unter diesem Vorzeichen stehen, denn Seelenenergie und damit wohl auch "Menschenopfer" dürften eine Machtquelle sein, mit der Woedica gegenüber ihren geschwächten Götterkollegen neuerlich ihren Anspruch auf die Rolle als Oberhaupt des Pantheons durchsetzen könnte. Aber zugegeben, ich weiß nicht genug von der Lore, um mir da absolut sicher zu sein. Die Living Lands sind auf jeden Fall von den Adra-Quellen der restlichen Welt abgeschnitten und existieren daher auch in einer Art Unabhängigkeit von den dominierenden 11 Göttern.
Mechanisch beeindruckte mich Avowed in Trailern und Gameplay ohne HUD deutlich mehr als meine eigenen Erfahrungen mit dem Spiel. Was so cineastisch und smooth aussieht ist in der Praxis, zumindest für mich, oft eher ein wildes Durcheinander gewesen, bei dem ich auch schon mal die eigenen Gefährten unter Beschuss nahm. Normal halt. Das wirklich innovative ist in meinen Augen, dass man sich auf eine ziemlich freie Waffenwahl freuen darf. Magie ist in Avowed sehr wichtig, denn manche "Rätsel" oder auch questrelevante Korridore brauchen den einen oder anderen Feuer-Spell der Hindernisse entfernt, Eis-Spells die begehbare Plattformen im Wasser bilden oder Elektro-Spells die antike Mechanismen in Gang setzen. Dazu reicht es an sich ein passendes Grimoire parat zu haben, man kann aber auch selbst die entsprechenden Skills erlernen und hat man dann noch das passende Grimoire dazu, steigt die Stärke der Spells auf die nächste Stufe. Mancher Reviewer riet sogar dazu, dass man Avowed nur mit Magie-Builds richtig spielen kann, ich finde aber es würde schon eine Grimoire-Sammlung im Inventar reichen und dazu ein paar praktische unique Waffen mit magischen Eigenschaften, wie der Blitzpistole oder dem Feuerschwert. Leider liegen uniques nicht gerade auf der Straße und sie immer wieder auf die nächste Stufe aufzurüsten kostet Ressourcen, weshalb man sich schon möglichst früh überlegen sollte, welche Waffentypen einem am besten liegen. Ich habe Feuerschwert und Schild zwar bis zum Ende in einem meiner beiden Combat-Slots behalten, aber zwischendrin meine Vorliebe für Pistolen entdeckt. Avowed hat Schusswaffen, was für Fantasy Games zunächst einmal irritierend wirkt. Bögen gibt es natürlich auch, aber genauso Musketen und Pistolen. Diese müssen allerdings nach jedem Schuss neu geladen werden, was zwar automatisch geschieht, aber einem Cooldown gleichkommt. Trotzdem macht es Spaß seine Gegner auf Abstand zu halten, vor allem wenn einem die hektischen Nahkämpfe mangels Heiltränken irgendwann zu teuer werden.
Riesig würde ich Avowed nicht nennen, groß ist es trotzdem und die Map ist nicht gerade das beste was man sich vorstellen kann. So fehlt eine Markierfunktion und zeitweise blieben ganze Landstreifen bei mir unter dem Nebel, weil sich Minimap und Hauptmap voneinander unterscheiden. Will man wirklich jeden Winkel auf der Map aufdecken, wird man immer wieder auf dieser nachsehen und sich entsprechend orientieren müssen. Da vermisse ich fast Ubisofts Radiomasten oder Türme mit denen man ganze Areale aufdecken darf.
Nach 60 Stunden war ich mit der Story fertig und ein Postgame gibt es nicht, wie in Outer Worlds endet die Geschichte mit welterschütternden Entdeckungen und Epilogen zu Örtlichkeiten und Personen. Ich habe aber auch nicht alle Nebenquests geschafft, weil eine der Kopfgeldquests bei mir keinen Loot hinterließ und womöglich habe ich sogar Quests verpasst, weil mir das Aufdecken der Karte mit ständigem Blick auf die Karte zu mühsam wurde. Es scheint ja nicht einmal eine Schnelltaste für die Hauptkarte zu geben und man muss sich durch das Menü durchklicken. Ich habe aber irgendwann auch aufgefhört nach Schatzkarten, den auf diesen verzeichneten Schätzen oder Altarteilen zu suchen. Man könnte also wohl noch viel mehr Zeit in das Spiel stecken.
Alles in allem ein Spiel dem ich gerne noch einen zweiten Playthrough gönnen würde, vor allem wenn es wirklich DLC geben wird.