2021 gewann Tales of Arise während der Pandemie den Game Award als RPG des Jahres und endete genau deshalb auch auf meiner Backlist...
Die Pandemie-Jahre sind zwar vorbei, aber ich arbeite mich erst jetzt durch den reichen Fundus, der damaligen Spiele des Jahres. Neben Xenoblade Chronicles 3 wurde Tales of Arise eine Weile lang als ganz großer Wurf im Bereich der JRPGs gefeiert oder es klang zumindest für mich so. Tatsächlich hat das Spiel sogar einen Game Award gewonnen, was zumindest eine hohe Popularität beweist. Im Nachhinein erhielt das Spiel ähnlich wie Xenoblade 3 ebenfalls einen DLC, der offene Fragen aus dem Hauptspiel bzw. in diesem Fall die Folgen des Endes thematisiert.
Xenoblade Chronicles und Tales of Arise weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf, auch wenn sie von zwei unterschiedlichen Entwicklerstudios stammen (Xenoblade gehört zu Nintendo, Tales zu Bandai Namco). Ich kenne allerdings keine der früheren Tales of-Spiele, sodass ich bei meinem Urteil vielleicht etwas zu einseitig belastet bin, denn ich sehe Tales of Arise als ein Spiel, das sich einiger Ideen und Konzepte von Xenoblade 1-2 bedient hat. Nachahmung ist aber auch eine Form von Respekt und Tales of Arise bietet durchaus eine eigenständige Geschichte und kein Knockoff-Xenoblade.
Kurz zur Story: Vor 300 Jahren wurde der Planet Dalna von seinem technologisch überlegenen Nachbarplaneten Rena überfallen und zur Kolonie erklärt. Seither herrschen renäische Lords über die fünf Provinzen von Dahna und beuten die Bevölkerung zu ihrem Nutzen aus...
Tales of Arise ist eigentlich das Spiel mit der eisernen Maske, allerdings habe ich keine Screenshots des Protagonisten mit dieser auf Lager, da die Maske doch relativ früh wegfällt und sogar die auf Covern gerne dargestellte Variante mit der halben Maske hält ingame gar nicht solange. Der Mann mit der eisernen Maske bekommt sogar relativ früh seinen Namen wieder - Alphen. Wer ist und was es mit der Maske auf sich hatte, das sei hier noch nicht verraten. Aber so mancher wird wohl auch schon mal den Film "Der Mann mit der eisernen Maske" gesehen haben und daher so eine Theorie haben. Nicht alle scheinbar auf der Hand liegenden Theorien bewahrheiten sich allerdings und die Story ist in meinen Augen auch nicht ganz so rund und perfektioniert wie in Xenoblade.
Tales of Arise ist in etwa das, was man aus einer Fusion aus Xenoblade und modernen Final Fantasy-Titeln erwarten könnte, eine spaßige und doch oft tiegründige Kombination aus sehr guter Story und actionreichen Gameplay. Erinnerte mich das Kampfsystem anfangs noch an Spiele wie Final Fantasy XVI, so entdeckte ich später wie man mit der Auto-Einstellung praktisch das Kampfsystem von Xenoblade nachahmen konnte, bis ich es völlig aufgegeben habe meine Kämpfe selbst auszufechten und die Auto-Einstellung einfach alles managen ließ (bis auf den gelegentlichen Trank-Einwurf). Nach fast 70 Stunden mit dem Hauptspiel und DLC fällt mein Urteil vielleicht etwas missgünstig aus, aber Tales of Arise ist für mich storytechnisch sehr gut, aber spielerisch eher JRPG-Mittelmaß. Ich will mich daher gar nicht so sehr an die spielerischen Aspekte von ToA erinnern und eher auf die Story beziehen. Das Spiel ist im Vergleich auch nicht so groß wie Xenoblade, was nichts schlechtes sein müsste, da man die Größe der Welt nicht nur als physische Bezugsgröße sehen muss. Aber das Spiel fühlt sich auch etwas kleinformatig, so als wären die großen Hauptstädte auch nur die größten Dörfer und die Welt ist auch im Sinne der auftretenden Charaktere irgendwie klein. Wie ich schon vorab zu ToA gehört habe, soll es gewisse Unzufriedenheiten mit dem Ende geben, aber ich finde es sit generell so, dass die Story-Arcs gegen Ende hin nicht wirklich abgerundet werden und einiges offen lassen.
Dabei ist das Worldbuilding in ToA an sich sehr beeindruckend und hält sogar dem Vergleich mit anderen RPG-Größen stand. Ist eine für 300 Jahre versklavte Provinz einmal befreit wird nicht alles automatisch wieder zu Friede, Freude, Eierkuchen, sondern die über Jahrhunderte kultivierten Ressentiments bleiben und um die Ökosysteme von Raubbau und Zerstörung zu erholen braucht es sogar schon "Magie", die in dieser Welt jedoch durchaus existiert und zu diesem Zweck genutzt werden kann. 300 Jahre Sklaverei gehen auch nicht spurlos an einer Bevölkerung vorbei, denn diese hat ihre Kultur und Geschichte in dieser Zeit auch weitgehend vergessen oder nur im Geheimen und verwässerter Form erhalten. ToA stellt sich den Problemen seines World Buildings anstatt sie unter den Teppich zu kehren oder mit Magie einfach wegzuwischen und dafür kann ich das Spiel nur loben.
Eine bedeutende Stärke von ToA sind aber auch die Charaktere, wobei man 6 davon in seiner Party haben wird (gewissermaßen 3 Paare). Nebencharaktere führen eher ein Schattendasein, was ich etwas schade finde, aber das ist auch ein Teil meiner Kritik, dass dem Gesamtwerk etwas fehlt. Kommen wir aber gleich zu einem der besten Charakter-Arcs des ganzen Spiels - Shionne, die meiner Meinung nach einer überlegene Version von Xenoblade Chronicles 2s Mythra ist. Mythras zunächst kaltes und abweisendes Wesen sitzt weit weniger tief als jenes von Shionne, die mit ihrem Fluch der Dornen buchstäblich niemanden an sich heranlassen kann, ohne diese Person den Schmerzen und Verletzungen durch ihre magischen Dornenranken auszusetzen. Shionnes Charakter wurde seit ihrer Kindheit durch diesen Fluch geprägt und mit Alphen jemanden zu finden, der diesen Fluch durchbrechen kann (weil er kein Schmerzempfinden besitzt) ist ein glaubwürdiger Wendepunkt für ihre Charakterentwicklung. Dabei geht es nicht ruckartig gleich mit einer Romanze weiter, sondern es dauert. Man muss Shionnes beträchtliche Resilienz anerkennen, denn ihre Störung im zwischenmenschlichen Bereich und damit auch ihrer Persönlichkeitsentwicklung hätte sich auch dafür geeignet, sie zu einer tragischen, aber nicht zu rettenden Psychopathin zu machen. Bei Shionne wurde auch auf eine übermäßige Sexualisierung verzichtet, was ihrer Charakterdarstellung und der Beziehung zu Alphen ebenso gut tut. Alphen selbst ist schon weit davon entfernt ein Kind zu sein, im Gegensatz zum schon sehr jung anmutenden Teenager Rex aus Xenoblade 2.
Allerdings kommt auch ToA nicht ohne klischeehafte Inszenierung aus, so tritt der Spitzel/Geheimpolizist Law dem Team als der typisch jugendlich-naive Martial-Arts-Haudrauf bei und wird eher zum comic relief anstatt eines Stichwortgebers aus einer stalinistischen Provinz. Da fühlt man sich an ein Meme erinnert, bei dem der Charakter als Mitglied der Party nur noch ein komischer Abklatsch seines vormaligen NPC-Daseins ist. Grundsätzlich könnte man allen Partymitgliedern anlasten, dass sie einmal rekrutiert an Ernsthaftigkeit verlieren, aber bei Law scheint mir das am gravierendsten und dauerhaftesten, zumal andere Charaktere zumindest ihre ernsthaftere Persönlichkeit erkennen lassen. Laws Wandlung noch am nächsten kommt in meinen Augen vielleicht die Gardistin Kisara, die sich nach ihrer Rekrutierung als der höchst mütterliche Part des Teams herausstellt und praktisch auch darauf achtet, dass sich die "Kinder" wie Law abwechslungsreich genug erinnern. Gleichzeitig wird man auch entdecken, dass ihre ritterliche Rüstung am Rücken nur von Bändern zusammengehalten wird, das ganze ist also eher ein sprichwörtliches "Kampfkleid" (oder combat dress). Kisara bleibt aber dem Kern ihrer Persönlichkeit als wehrhafte Überzeugungstäterin treu.
Wieder mehr Lob habe ich für die Partymitglieder Doahlim und Rinwell. Die Magierin Rinwell wirkt zunächst einfach gestrickt, ist es aber so gar nicht. Magier gelten praktisch als Mythos und existieren nur heimlich im Untergrund, da sie ähnliche Fähigkeiten wie die Renäer besitzen und daher eine Gefahr für diese darstellen könnten. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Magier schon lange vor Renas Invasion im Untergrund verschwunden sind, weil sie womöglich von ihren eigenen dahnäischen Landsleuten gejagt oder verstoßen wurden. Es ist nicht klar, ob die Magier vielleicht einst sogar aufgrund ihrer Fähigkeiten über andere Dahnäer herrschen konnten. Rinwells Backstory und die von ihr getragene Diskussion über die verlorenen Vergangenheit der dahnäischen Geschichte ist höchst interessant und für mich genau das, was den Reiz an ToA ausmacht, den dieser ganze "Geschichtsverlust" und die möglichen Fallstricke einer Überhöhung der Vergangenheit sind hochgradig realistisch. Wenn man die Vergangenheit nicht kennt, diese aber für politische Zwecke nutzen will, dann stolpert irrsinnig leicht in Geschichtsfälschung hinein. Das beste SciFi-Werk dazu ist in meinen Augen immer noch Planet der Affen und ich finde es sehr reif von Rinwell, sich zu weigern die bestenfalls bruchstückhafte Vergangenheit der Magier und Dahnas für die große Weltrevolution gegen Rena einzuspannen. Aber politisch ausschweifend ist ToA ohnehin nicht, sonst hätte es das Spiel doch sicher nicht zu einem RPG des Jahres geschafft - immerhin will man ja angeblich keine politischen Inhalte mehr in Videospielen. Rinwell ist aber auch das Mitglied des Teams, das den Renäern wegen der Ermordung und Verfolgung ihrer Familie am unversöhnlichsten gegenübersteht und ihren Vorurteilen dabei am längsten anhängt.
Der Mangel an politischen Begleiterscheinungen beim Kampf um die Krone und die Rolle des Souveräns sind etwas, das mir durchaus störend auffällt. Immerhin sollte Game of Thrones ja diese Art von "politischen Content" zum Mainstream gemacht haben. 5 Lords mit 5 Provinzen, fast wie Game of Thrones, wo zeitweise auch 5 Könige mit 5 Reichen gegeneinander antraten (Robb Stark, Joffrey Baratheon, Renly Baratheon, Stannis Baratheon und Balon Greyjoy dt. Graufreud). Aber scheinbar geht es nur um das Sammeln von möglichst viel Äther aus seiner Provinz? Wäre es da nicht auch ideal seinen Äther-Vorrat zu erhöhen, indem man in eine andere Provinz einfällt und dadurch den dortigen Äther seiner Quote hinzufügt, wobei man gleichzeitig die Quote seines Gegners senkt? Bei weniger intelligenten/ideenreichen Lords wie dem "Feuer-Lord" Balseph rechne ich nicht damit, dass sie auf diese Idee kommen und sich ganz bewusst hinter den Mauern ihrer Provinzgrenze verschanzen, aber als dann erst eine Intrige ins Spiel kommt, als man sich mit der dritten und vierten Provinz beschäftigt, da habe ich mich doch gefragt, warum die Lords so tatenlos herumsitzen. Und wie lange regieren Lords überhaupt bzw. was geschieht nach dem Sieg eines Lords mit den anderen vier? Was mir fehlt ist eine Art Organisation, die hier die Regeln durchsetzt, wenn das ganze ein Battle Royale der 5 fähigsten Astral-Artes-Nutzer sein soll. Wie schon zu einem früheren Zeitpunkt gesagt, mir fehlt in ToA etwas, so als wäre es keine Saga wie Game of Thrones, sondern eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, die so einige Fragen offen lassen müssen.
Der neben dem Gespann Alphen-Shionne am storyrelevanteste Charakter ist wohl Dohalim, dessen Story-Arc sogar bis in Richtung des Finales fortgesetzt wird. Dohalims Geschichte funktioniert sogar, obwohl das grausame System hinter der Souverän-Auswahl ziemlich anonym gesteuert bleibt, gerade weil es für den Künstler (Musiker) Dohalim ein Gesicht trägt, nämlich das Gesicht seines besten Freundes, den er im ihnen aufgezwungenen Wettstreit um die Nominierung als Lord getötet hat, ohne die Position zu wollen. Das ist nun ein Spoiler, aber dass Dohalim zum Party-Mitglied wird ist schon erkennbar, wenn man sich seine DLC-Items abholt. Genauso hat mich das Spiel auch gespoilert, aber nachdem die Geschichte ja mit einem Mann in der eisernen Maske beginnt (der in Alexandre Dumas Roman ja auch einen Zwillingsbruder hat) war ich mir zumindest bei vielen vermeintlichen "Spoilern" nicht so sicher. Dohalim ist als auserwählter Statthalter jedenfalls höchst unwillig, aber nun einmal gezwungen diese Rolle einzunehmen. Statt sich zum Tyrannen aufzuschwingen will er sich jedoch aus dem Rennen nehmen und weigert sich seine Untertanen als Ätherquellen zu behandeln. Da kommt natürlich wieder mein Vorwurf ins Spiel, ToA hätte mehr Intrigen vertragen können, denn so ein unwilliger Herrscher ließe sich ja vielleicht von einem seiner Minister manipulieren und mit einem Leben in Dekadenz und Selbstzweifeln ruhig stellen. Dohalim hat aber durchaus Führungspotential, er will aber als quasi-verbannter Künstler auch gegen das "Regime" aufbegehren, dass ihn in dieses Exil geschickt hat. Er ist geeignet, er spielt aber einfach nicht mit. Dohalim ist nun aber auch der liberalste Renäer dem man in der Geschichte begegnet, sogar mehr als die Dornenprinzessin Shionne. Das liegt wohl daran, dass der Musiker Dohalim praktisch so "weltfremd" orientiert war, dass er den Rassimus der Renäer gegenüber den vermeintlich barbarischen Dahnäern nicht verinnerlicht hat. Andererseits kann das auch an Dohalims Ablehnung des Systems legen, das schlussendlich auf der Ausbeutung der Bevölkerung Dahnas aufgebaut ist.
Eines der großen Rätsel für mich war über einige Stunden des Spiels der Ort Lenegis. Mir schien als wurde es in den Missionen nicht erklärt, was Lenegis sein soll. Der Ort wurde aber immer wieder erwähnt und das auch als Ausgangsbasis für die Renäer auf Dahna. So stellte ich mir dann eine Art Mond oder drittes Himmelsobjekt zwischen Dahna und Rena vor. Tatsächlich ist Lenegis jedoch eine Raumstation zwischen den Planeten und damit praktisch der vorgeschobene Stützpunkt Renas. Als das offensichtlich wurde, dachte ich, dass ich etwas essentielles verpasst haben muss. Etwas mysteriös soll das Verhältnis zwischen den Lords auf Dahna, Lenegis und dem Souverän auf Rena aber ohnehin sein. Das Rätsel Lenegis beschäftigte mich auch deshalb, weil ich versucht hätte die scheinbar nicht-existenten politischen Machtverhältnisse auch anhand möglicher logistischer Verbindungen zwischen den Kolonien auf Dahna, dem Knotenpunkt Lenegis und der Hauptstadt auf Rena zu verstehen. Wie wird Lenegis regiert und gab es in 300 Jahren keine Probleme damit alle paar Jahren den Souverän neu zu wählen (was passiert mit diesen überhaupt und wie wird Dahna in der Zwischenzeit der Königswahlen verwaltet, um dort typisch für Kolonien, Ressourcen abzubauen)? Viele der Konzepte in ToA scheinen mir einfach nicht fundiert zu sein, als wären sie nur hohle Attrappen.
Alles in allem würde ich dennoch meinen, Tales of Arise ist ein gutes Spiel, das auch zum Nachdenken anregt. Es ist nur definitiv kein Spiel, dem ich in absehbarer Zukunft einen zweiten Playthrough gönnen würde.