Es gibt Spiele mit denen man erst nach einigen Stunden warm wird...
Nach Xenoblade Chronicles 1 war es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich auch an das Sequel heranwagen würde. Nach dem Abschluss von XC1 ließ ich zunächst einmal etwas Zeit vergehen, denn eines der ersten Dinge die ich über XC2 gehört habe war, dass es ein Spiel ist, mit dem man rund 20 Stunden braucht, bis man mit dem Kampfsystem warm wird. Die Beschreibungen dieser doch etwas überzogen lang wirkenden "Eingewöhnungsphase" reichten von "es fehlen einem halt die wirklich brauchbaren Mechaniken" bis "UNSPIELBAR". Für mich blieb da halt die Frage offen, wie mühsam ist die ganze Phase für mich? Grundsätzlich habe ich ja MMO-Erfahrung, zumal die MMO-Ähnlichkeiten bei Xenoblade Chronicles auch hin und wieder als Negativpunkt angeführt werden, sodass mich das weniger abschreckte. Und mit einigen wenigen Skills und einer unfertigen Rotation leveln? Das ist auch nicht soviel anders als in x Playthroughs als Sith-Juggernaut in SWTOR, wobei das alles ja über die Jahre verbessert, aber manchmal auch verschlimmert wurde. Ich wusste also nicht ganz, auf was ich mich da einlasse und so habe ich XC2 zunächst auch ganz casual im Handheld-Modus der Nintendo Switch begonnen, wann immer ich mal etwas Abstand von anderen Spielen wie Persona 3 Reload oder Like a Dragon (Yakuza) suchte.
Auch von der Story von XC 2 gibt es quasi Warnungen, denn das Sequel bedient sich einer stärker ausgeprägten "Anime-Optik" und diverser Klischees, zudem spielt es in einem etwas unerwarteten Setting. Ob und wie XC 1 und XC 2 verbunden sind ist zunächst eines der Rätsel vor die man gestellt wird, denn die Welt in XC 2 ist zwar auch von Titanen bevölkert, aber mehreren und diese leben über einer Wolkensee, um einen gewaltigen heiligen Baum herum. Das passt irgendwie nicht zu einer Welt, in welcher nur zwei gigantische Titanen existierten und in einem scheinbar endlosen Meer herumstanden, nachdem sie dort erstarrt sind. Aber man glaubt vielleicht doch, dass XC 1 und 2 die gleiche Welt betreffen. Die Bewohner dieser neuen Welt nennen sie auch anders, nämlich Alrest, was weder nach Bionis oder Mechonis klingt. Lebt man nun vielleicht in der Zukunft? Es fehlen nun aber auch einige der vertrauten Spezies, wie Mechon oder High Entia. Sind diese beiden nun ausgestorben? Wenn man sich, wie ich, ohne Vorinformationen an XC 2 heranwagt, dann stellt man sich die Frage nach den Verbindungen zum Vorgänger noch viel länger als man vielleicht sollte. Konkrete Antworten erhält man erst in Richtung Endgame.
Je näher wir dem Release einer Switch 2 kommen desto wahrscheinlicher wird auch eine Xenoblade Chronicles 2 Definitive Edition, die das Gameplay-Problem lösen könnte. Zuerst soll es 2025 aber eine solche Definitive Edition für Xeboblade Chronicles X geben.
Ich bin durchaus gespannt, denn trotz aller Probleme bin ich dem Charme von Xenoblade 2 und des Standalone-Prequels Torna: The Golden Country verfallen. Jetzt wo ich diese Zeilen schreibe ist schon mehr als ein halbes Jahr seit meinem Playthrough vergangen und in so mancher Hinsicht hat mich das einige der Details vergessen lassen, dafür ist mein Gesamteindruck jetzt etwas klarer.
Rex ist ein Teenager, Pyra eine jahrhundertealte "lebende Waffe", die ihm wegen seines unschuldigen Heldenmuts einen Teil ihrer Lebenskraft geschenkt hat. Somit sind die beiden nun scheinbar untrennbar verbunden und finden sich in einem unerklärten Konflikt verschiedenster Interessensgruppen wieder. Da sind die Quasi-Anarchisten von Torna, aber auch ein Imperium, dessen überalterter Titan langsam als Lebensraum immer unbehaglicher wird, während die Welt im Schatten von Konflikten der Titanen-Staaten existiert. Xenoblade 2 hat unter der Anime-Oberfläche mit unpraktischer Kleidung, übertrieben Proportionen und klischeehaften Charakterzügen einiges an durchaus ernsthaftem World Building zu bieten. Die verschiedenen Staaten auf ihren Titanen sind von diesen als Lebensräumen abhängig und mit dem Untergang eines Titanen geht auch der buchstäblich auf dessen Rücken errichtete Staat unter. Zugleich nutzt man kleinere Titanen auch als Luftschiffe, aber die Zahl der Titanen schrumpft und somit auch die Welt. Schrumpgender Lebensraum bringt in unserer Welt auch Konflikte hervor und in Xenoblade 2 ist es nicht anders, sogar die Weltuntergangsstimmung (pun intended) wird hin und wieder religiös begründet. Es muss sich etwas tun, sonst wird irgendwann niemand mehr am Leben sein. Technologisch ist man jedoch soweit gehemmt, dass man sich eine Evakuierung auf Mond oder Mars nicht einmal erträumen kann. Die langjährige Verfügbarkeit von Titanen als Transportmittel hat auch Schattenseiten. Das Fehlen fossiler Brennstoffe sollte aber auch nicht unberücksichtigt bleiben.
Klingt jetzt hoffentlich nicht unspannend, denn der State of the World ist noch nicht einmal das Kernthema, welchem sich Xenoblade 2 widmet. Dieses sind viel eher die Blades, jene von Kristallen geschaffene oder heraufbeschworenen Humanoiden, die mit ihree jeweiligen Waffe auch immer an einen Besitzer gebunden zu sein scheinen. Je menschlicher, desto schwieriger scheint es, sie als Eigentum oder bloße Gegenstände zu betrachten, aber genauso werden sie behandelt und teils auch gehandelt. Xenoblade 2 bringt seine Spieler durchaus zum Nachdenken, wenn sie nicht mit etwas Fanservice abgelenkt werden. Anders als etwa Nier Automata hat man sich die Abgründe seiner Welt nicht gerade auf die Fahnen geschrieben, aber sie sind da.
Wirkte Shulks Verlangen nach Rache in Xenoblade noch sehr ernst und erwachsen oder zumindest edgy, so ist Rex eigentlicher Wunsch bedeutend gutmütiger, will doch eigentlich nur Pyra glücklich machen und diese will eine Art mythisches Paradies im Baum des Lebens erreichen. Genau deshalb muss sich Rex auch mit mehr Rückschlägen zurechtfinden, denn sein Motiv hält länger durch. Shulks Motiv musste sich durch Plotwendungen bedingt wandeln, was eine andere Art von hero's journey darstellte. Beide haben etwas für sich und ich würde für mich keinen der beiden Protagonisten über den jeweils anderen stellen.