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Life is Strange: ein moderner Klassiker (Review)

Zeitreisen, eine Mordserie und Highschool-Drama - Life is Strange hat alles und wirkt dabei überhaupt nicht so strange wie der Titel oder die Prämisse vermuten ließen...

Life is Strange und ich mussten uns wohl kennen lernen, es war Schicksal. Nachdem ich mich in den Corona-Jahren ohnehin schon auf Telltales, Visual Novels und Steins;Gate eingelassen habe war es irgendwie natürlich, auch diese Erzählung mit ihrer Rewind-Mechanik (da kommen die Zeitreisen ins Spiel) für mich zu entdecken. Und das sowohl in der klassischen Ausgabe, als auch der Remastered Edition, die anlässlich der Veröffentlichung von Life is Strange 3 veröffentlicht wurde (mit der damaligen Ankündigung, dass das gesamte Franchise auch die Nintendo Switch geportet werden wird, was etwas länger dauerte). Man merkt aber wohl den memehaften BioWare-Fan an mir, denn ich habe beide Editionen dann mit den fast identischen Entscheidungen durchgespielt.

Das Setting

 

Arcadia Bay wirkt ein verschlafenes Ostküstenstädtchen, dessen renommierte Blackwood Academy aufgrund ihres Kunst-Fokus als ideales Sprungbrett für eine Künstler-Karriere oder die Aufnahme an entsprechenden Colleges gilt. Max Caufield ist als begabte Fotografin genau deshalb in ihre ehemalige Heimatstadt zurückgekehrt und steuert zielstrebig auf ihren Highschool-Abschluss zu, bis sie eines Tages einen sehr seltsamen Tagtraum von einem katastrophalen Sturm in Arcadia Bay erlebt.

 

Plötzlich scheint Max in der Lage zu sein die Zeit einige Sekunden zurückzuspulen, etwas das ihr noch am gleichen Tag die Möglichkeit eröffnet eine fatale Auseinandersetzung zwischen ihrer verlorenen Kindheitsfreundin Chloe Price und Nathan Prescott ungeschehen zu machen...

 

Wer sich von Life is Strange ein Drama wie Chronicle (den Film von Josh Trank aus dem Jahre 2012) erwartet oder auf stärkere Science Fiction, Fantasy oder Mystery-Bezüge hofft wird leider enttäuscht werden. Mir gefällt das Spiel trotzdem und vielleicht gerade deshalb, weil es sich eben durch seinen Plot, die Charaktere und sein Spielprinzip von der breiten Masse abhebt und das  indem es sich so normal und casual gibt. Life is Strange ist eine Geschichte mit viel Herz und nicht ganz soviel (Pseudo)-Science in seiner Science Fiction. Der Usprung von Max Fähigkeiten wird daher auch nicht geklärt und ihr Nerd-Freund Warren hat auch nur einige aus der Populärkultur entlehnte Erklärungen zu bieten. Das ganze könnte schon irgendeinen indianischen Ursprung haben, aber wir erfahren es eben nicht. Es ist aber auch nicht wichtig woher Max ihre Fähigkeit bekommen hat, sondern was sie mit dieser anstellt.

 

Chloe vor Nathan Prescott zu retten bringt die beiden Freundinnen wieder zueinander, doch das unbeschwerte Mädchen von damals hat heute relativ ernsthafte Probleme. Da ist zunächst einmal der Tod ihres geliebten Vaters, den Chloe immer noch nicht verarbeitet hat. Chloes Mutter hat indessen neu geheiratet, doch Chloe kann sich mit ihrem neuen Stiefvater so gar nicht anfreunden, da dieser als Sicherheitschef der Blackwell Academy doch auf der Seite eines Gesetzes steht, gegen das Chloe rebellieren möchte. Und dann wären da noch Chloes Schulden bei Drogendealer Frank, der Umstand dass sie aus der Blackwell Academy geflogen ist und seit einiger Zeit ist ihre Freundin Rachel Amber auch noch verschwunden. Chloe kann und will nicht daran glauben, dass Rachel sie einfach in Arcadia Bay zurückgelassen haben könnte.

 

 

Choices matter?

 

Während man das Beziehungsgeflecht der einzelnen Charakter erkundet und sich wie Max an die Möglichkeit gewöhnt, die Zeit um einige Zeilen zurückdrehen zu können lernt man relativ früh, dass es sehr praktisch sein kann, sein Wissen über die Zukunft auch zu nutzen. Da kann man etwa eine Klassenkameradin davor bewahren, von einem Ball getroffen zu werden oder man wiederholt ein Gespräch mit dem Wissen über die entscheidenden Details. All das ist aber nur eine Begleiterscheinung dessen, was Life is Strange wirklich so besonders macht, denn gerade bei den "Nebenquests" ist es möglich, diese auch links liegen zu lassen. Aber unter Umständen bezahlt man in späteren Kapiteln einen hohen Preis dafür, denn nichts zu tun ist auch eine Entscheidung.

 

Als jemand der von BioWare-Spielen wie Knights of the Old Republic, Mass Effect und Dragon Age geprägt wurde ist es für mich eigentlich nicht so neu oder innovativ, wenn ich Entscheidungen treffen darf und diese zu einem späteren Zeitpunkt ein Resultat hervorbringen. Es ist nur oft enttäuschend, dass die Resultate bescheidener ausfallen als die Entscheidung. In Life is Strange ist das jedoch für gewöhnlich umgekehrt. Kleine Gesten können große Folgen haben und darüber entscheiden, ob bestimmte Charaktere am Ende des Spiels noch am Leben sein werden.

 

Die erste und vielleicht auch beeindruckste Ansammlung von solchen Klein-Entscheidungen kommt relativ früh zum Tragen, als es um das Schicksal der gemobbten Mitschülerin Kate Marsh geht. Will man den für sie besten Ausgang der Situation erreichen, sollte man sich keine Gelegenheit entgehen lassen haben, um ihr zu helfen. Aber man muss trotzdem noch die richtigen Dialogoptionen wählen. Bei meinem ersten Versuch verklickte ich mich etwa bei einem Bibelzitat und... entschied mich das Kapitel ab dem letzten Speicherstand noch einmal zu wiederholen, um mir die unbeabsichtigten Konsequenzen zu ersparen. Was passiert will ich nicht verraten, aber Ereignisse wie diese prägen auch den Ton des weiteren Spielverlaufs. Choices matter ist in Life is Strange nicht einfach ein leeres Versprechen, sondern das Motto gilt.

 

 

Harte Entscheidungen

 

Was man sich von Life is Strange nicht erwarten sollte ist allzu ausgefallenes Gameplay. Mir gefällt die Beschreibung, dass das Spiel eine Mischung aus Visual Novel und Walking Simulator ist. Also im Endeffekt ist es wohl ein sehr stark auf die Dialoge reduziertes RPG, ohne Möglichkeiten zur Charaktergestaltung (kein Skillbaum, keine Skills, keine Anpassungsmöglichkeiten und auch keine Open World). Man erlebt eine Story aus einer Perspektive, aber man darf tatsächlich damit rechnen, dass die getroffenen Entscheidungen Konsequenzen haben und durch das Narrativ respektiert werden.

 

Natürlich kann man auch versuchen auf "böse" zu spielen, aber das heißt in diesem Fall auch etwa einen Hund auf die Hauptstraße laufen zu lassen oder für den Tod von Personen verantwortlich zu werden, die einem auch als ganze Menschen vorgestellt werden. Am Ende eines jeden Story-Kapitels werden einem übrigens (wie in manchen Telltales) Statistiken präsentiert, wie viele Spieler sich für welche Optionen entschieden haben.

 

Verglichen mit Life is Strange sind die Entscheidungen in der Mass Effect-Trilogie nichts herausragendes mehr. Ashley vs. Kaidan ist für mich als Fan zwar immer noch DER Moment aus Mass Effect 1, aber im Vergleich? Life is Strange zeigt wie man eine solche Entscheidung wirkliche Folgen haben lassen kann, anstatt sie in einer Trauerszene einfach abzuschließen. Der Umgang mit Kate Marsh legt die Latte für ein modernes Ashley vs. Kaidan erkennbar höher, denn nun müsste der Tod eines Crewmitglieds über das jeweilige Kapitel hinaus noch seine Bedeutung entfalten.

 

 

Das problematische Prequel

 

Der Plot um das Verschwinden von Rachel Amber wird am Ende von Life is Strange zwar aufgelöst, aber die Frage, ob die Vorgeschichte von Chloes Beziehung zu Rachel nicht auch interessant wäre hat schlussendlich das Prequel Life is Strange: Before the Storm inspiriert. Ich muss zugeben, dass mich dieser Serienmörder-Plot durchaus auch interessiert hat und dazu motivierte auch Before the Storm durchzuspielen. Das Problem ist nur, dass man das Prequel einem anderen Studio, mit wahrscheinlich auch völlig anderem Kreativ-Team anvertraut hat. So fügt sich das ganze nicht recht nahtlos ineinander, ein Eindruck der noch einmal verstärkt wird, weil das Prequel alle wiederkehrenden Rollen des Originals wegen eines Synchronsprecher-Streiks neu besetzen musste. Man kann meiner Meinung nach durchaus von einigen "Unstimmigkeiten" zwischen dem Original und dem Prequel sprechen, denn so manches von der Hintergrund- und Vorgeschichte Chloes und Rachels hätte ich mir auch etwas anders vorgestellt. Man merkt Before the Storm halt an, dass jemand hier seine Interpretation der Charaktere verwendet hat und nicht unbedingt immer den richtigen Ton treffen konnte. Unterm Strich finde ich Before the Storm als Prequel eher durchschnittlich, aber auch sehr verzichtbar. Das Prequel hätte meiner Ansicht nach auch auf Rachels Mörder eingehen sollen, stattdessen erfahren wir von diesem aber rein gar nichts. Die Prequel-Geschichte erzählt aber zumindest wie Chloe von der Schule flog, zu ihrer alten Rostlaube kam, Rachel kennen und lieben lernte, doch noch an einer Schultheateraufführung teilnahm und das Rätsel um Rachels Mutter löste. Gerade letzteres ist ein eher unerwarteter Plotpunkt, der wohl die Geschichte um Rachels späteres Verschwinden oder ihre Beziehung zu Frank verdrängt hat. Man bekommt also teilweise eine "eigenständige" Geschichte im Prequel präsentiert, aber es ist halt nicht das was man sich erwartet hätte. Und natürlich muss das Prequel auch ohne die Rewind-Mechanik auskommen, Chloe hat lediglich eine Art Quicktime-Event zur Verfügung, bei dem sie die richtigen Worte wählen muss, um zum wünschenswerten Dialog-Ende zu kommen.