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Wessen Boba Fett?

Man kann Jon Favreaus Buch von Boba Fett sicher so einiges vorwerfen, doch so manche Kritik stützt sich schon allein darauf, dass Favreau nicht das erste "Buch" über Boba Fett geschrieben hat...

Die Star Wars-Fangemeinde ist schwer zufrieden zu stellen, da das Franchise mit seiner 45jährigen Geschichte schon so einiges an Werken das Tageslicht erblicken ließ, die es nicht zum "Kultstatus" von Werken wie der Thrawn-Trilogie oder dem ursprünglichen Knights of the Old Republic-Videospiel gebracht haben - und doch haben auch genau diese vergessenen Werke und "Beiträge zur Lore" eine nicht weniger fanatische Anhängerschaft. Charaktere die auf der Leinwand kaum oder nicht vorkamen, hatten im einstigen Expanded Universe oftmals ein viel erlebnisreicheres und bedeutenderes Leben, als ihnen George Lucas eigentlich zugedacht hatte. Gerade im Fall von Boba Fett hatte Lucas nie eingeplant, ihn im EU zum besten Kopfgeldjäger der Galaxis, Mand'alor oder Quasi-Iron Man aufsteigen zu lassen. Doch das stört natürlich keine Boba Fett-Fans diese Legends-Version ihres Lieblingscharakters zum Goldstandard für jede künftige Boba Fett-Darstellung zu erklären.

 

Erwähnenswert ist natürlich die Legends-Version von Boba Fett ein Flickwerk aus unterschiedlichsten Boba Fett-Darstellungen ist. Einerseits gab es natürlich die Kopfgeldjäger-Krieg-Trilogie von K.W. Jeter, in der Bobas Schicksal nach seinem Sturz in die Sarlacc-Grube geklärt wurde und in einigen Rückblenden auch seine Verwicklung in den titelgebenden Machtkampf in der Kopfgeldjäger-Gilde enthüllte. Aus dieser Trilogie stammt auch das mehr oder weniger bekannte Lore-Nugget, dass der trandoshanische Kopfgeldjäger Bossk seinen Vater Cradossk verspeist hat, nachdem er diesen als Oberhaupt der Gilde stürzen konnte. Jeter gab Boba Fett auch einen Teil des Iron Man-haften Arsenals, da er Boba als eine Art Millionär mit Aktienanteilen in zig namhaften galaktischen Unternehmen und speziell für ihn entwickelten Gadgets machte. Man könnte Boba so natürlich auch mit Batman/Bruce Wayne vergleichen, aber 1998 als Jeter seine Trilogie über Boba Fett schrieb war dessen Vorgeschichte als Sohn-Klon Jango Fetts noch lange nicht Teil der entsprechenden Lore. Irgendwer fügte der Boba Fett-Lore auch noch hinzu, Boba hätte Ersatzrüstungen und eine private Sammlung an Lichtschwertern, um auch für die Jagd auf Jedi-Ritter gerüstet zu sein. All das kam am Ende des Expanded Universe auch noch in der Legacy-Ära zum Einsatz, speziell den Legacy of the Force-Romanen, die auch Bobas Tochter und Enkeltochter wieder mit dem damaligen "Kanon" in Einklang brachten. Dank der Legacy-Ära wurde Boba dann auch als Mand'alor bestätigt und durfte sogar noch zum wirtschaftlichen Aufstieg Mandalores beitragen, weil unter seiner Regentschaft doch wieder einmal eine Ader mandalorianisches Eisen entdeckt wurde, das dann zum Bau und Export mandalorianischer Raumjäger genutzt wurde.

 

Als Disney das Star Wars-Franchise übernahm und das Expanded Universe samt seiner Lore auf dem Stand von 2014 über Bord warf wurde die Lore zu Boba Fett gewissermaßen (zumindest in meinen Worten) zur Legende von Boba Fett oder The Legend of Boba Fett. Alles was zig Autoren über Jahrzehnte mehr oder weniger unkoordiniert an Lore zu einem random character aus der OT geschaffen hatten war plötzlich vom Tisch und was blieb war George Lucas Interpretation des Charakters aus den Prequels und vor allem THE CLONE WARS. Lucas war seinerzeit durchaus gewillt erfolgreiche Legends-Charaktere in seine Werke aufzunehmen und einzusetzen, aber er musste und wollte sich dabei nicht an die von Fans aus den entsprechenden Comics oder Büchern abgeleiteten Interpretationen halten. Selbst die präziseren Darstellungen der Autoren selbst waren für Lucas nicht verbindlich, siehe Mandalore, das von einer grünen Wiesenlandschaft in den Legends zu einer leblosen Wüste mit Kuppelstädten in TCW wurde. Als TCW sich unter Lucas Einfluss Mandalore zuwandte wurde zeitgleich aber auch noch aktiv an Romanen zur vorherigen Darstellung Mandalores geschrieben. Die Autorin Karen Traviss hatte bereits etwas mehr als ein halbes Dutzend Star Wars-Romane veröffentlicht, in denen sie die Lore um den mandalorianischen Skirata-Clan und auch Boba Fett entwickelt hatte, ehe ihr die von Lucas persönlich abgesegnete Version Mandalores und der mandalorianischen Geschichte in die Quere kam. Traviss stieg daraufhin aus ihrem letzten Star Wars-Vertrag aus - man kann es nun kreativere Differenzen oder auch einen Rage-Quit nennen, denn unter ihren Fans wird Traviss zu Gute gehalten, dass sie die mandalorianische Geschichte und Lore um Mando'a erweitert hatte und mancher bezeichnete die Mandalorianer deshalb auch schon als die Klingonen des Star Wars-Franchise.

 

Das Reboot der Boba Fett-Lore macht jedoch auch etwas Sinn, wenn man bedenkt, dass der Charakter nach Episode II (2002) plötzlich neu gedacht und geschrieben werden musste. Vor den Prequels gab es eher nebulöse und oft widersprüchliche Origin Stories zu Charakteren wie Obi-Wan Kenobi oder auch Boba Fett. Als sich Lucas diesen Charakteren zuwandte überschrieb er schon manche der von Fans damals verinnerlichten Geschichten mit seinem "Kanon". Widerstand war zwecklos und das Internet noch lange von den Twitter-Shitstorms dieses Jahrzehnts entfernt. Die Verbitterung auch dieser Fans dürfte jedoch in der DNA des Star Wars-Fandoms überlebt haben - man findet ja immer wieder mal Ansammlungen die an einen "Hive of Scum and Villany" erinnern. Man bedenke die Langlebigkeit der diversen Zerwürfnisse - vor 20 Jahren hat da jemand die Geschichte für ungültig erklärt, dass Boba Fett eigentlich Jaster Mereel heißt oder ursprünglich ein Sturmtruppler war der den Namen und die Rüstung Boba Fetts nur angenommen hat - und man ist immer noch sauer, schiebt die Schuld nun aber auf Disney (weil man damit heutzutage am ehesten Zuspruch findet). Dieser Zuspruch für bösartige und abfällige Kommentare hilft aber auch niemandem dabei vergangene Kränkungen zu überwinden.

 

Der neue kanonische Boba Fett ist schlussendlich jener Junge, den wir in Episode II seinen Vater verlieren gesehen haben und TCW erforschte dessen Trauma noch weiter. Boba wollte sich an Mace Windu rächen und schlug so einen Pfad ein, der ihn als Gesetzesbrecher oder charmanter formuliert, als "Outlaw" brandmarken sollte. Nicht das Boba von seinem Vater für einen anderen Pfad vorbereitet geworden wäre, aber sein Entschluss Rache an Mace Windu zu üben und so einen Kreuzer der Republik zum Absturz zu bringen führte zu Bobas rechtmäßiger Verurteilung und Inhaftierung - aus der er sich aber wenig später scheinbar wieder befreien konnte. Einmal auf diesem Pfad hatte Boba auch kaum noch andere Karriere-Optionen, als auch ein Kopfgeldjäger zu werden - wie sein Vater vor ihm. In TCW erleben wir Boba daher auch nicht zweifelnd oder um eine verlorene Kindheit trauernd, sondern beim Versuch sich schon als Halbstarker einen Namen in der Welt zu machen, wobei ihm natürlich der Name und Ruf seines Vaters geholfen haben. Boba musste nicht erst als kleiner Schläger auf der Straße anfangen. Meiner Meinung nach ist Jon Favreaus daimyo Boba Fett durchaus eine glaubwürdige Weiterentwicklung des TCW-Boba Fett. Beide leben in der gleichen Welt und beschreiten den gleichen Pfad - nur dass der einstige "Schläger" nach seinem Nahtod-Erlebnis und dem Zusammenbruch von Jabbas Kartell nun seine Chance gekommen sieht.

 

Im kanonischen Star Wars-Universum muss man auch Bobas Rolle überdenken. Die Republik und ihr Sicherheitsapparat fangen am Rand ihres Einflussgebiets zu wirken auf. Palpatines Imperium weitete zwar seine Grenzen aus, hatte aber auch nicht allzu großes Interesse daran in die Sicherheitsinfrastruktur bestimmter ehemals neutraler oder gar separatistischer Welten zu investieren. Der Aufstieg der kriminellen Syndikate kam Palpatine daher durchaus gelegen, denn solange diese die Ansprüche des Imperiums erfüllen dürfen diese als quasi-staatliche Akteure am Ruder bleiben. Somit blieb für Gesetzesbrecher wie Boba Fett auch weiterhin ein rechtlicher Rahmen, in dem sie ihrem Kopfgeldjägerhandwerk nachgehen konnten. Und "Kopfgeldjäger" zu sein kann ohnehin vieles bedeuten, vom Ersatz-Sheriff, über einen Söldner bis hin zum Schläger im Dienste eines Kartells. Dementsprechend erleben wir "Kopfgeldjäger" auch in derart vielen Funktionen. In The Clone Wars verteidigen sie als Leibwächter Jabbas Palast, als Maul und Savage Opress diesen mit der Death Watch angreifen. Kopfgeldjäger wie Cad Bane agieren auch als hochbezahlte Auftragsmörder und helfen Kriminellen schon einmal dabei aus dem Gefängnis auszubrechen oder hohe Würdenträger zu entführen.