Games mit aktiven Communitys wird ja gerne nachgesagt, dass eben diese Communities sich auch oft selbst den Brunnen vergiften und wäre es daher nicht wünschenswert wenn ein Entwickler einfach mal standhaft bleibt, nein zu Fan-Service sagt und seine Pläne durchzieht?
Es gibt so Trends die kommen immer wieder, etwa auch der Trend sich um seine Communities zu kümmern und diese an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Je mehr man auf diese jedoch hört, desto mehr entsteht der Eindruck, die Influencer hätten plötzlich das Ruder in der Hand und die Entwickler selbst würden sich immer mehr den Wünschen ihres Publikums beugen. Was uns heute immer öfter als schädliche Entwicklung oder gar "toxisch" präsentiert wird ist jedoch auch ein wenig dem Zeitgeist geschuldet. Wer seine bitteren Erfahrungen mit dem Franchisekiller EA gemacht hat könnte aber auch gelernt haben, dass diese Konzerne die das Schicksal unserer liebsten Franchises in Händen halten sehr wenig menschliches Interesse daran haben, dass man als Fan zufrieden ist. Konzerne haben für gewöhnlich auch wenig Interesse an künstlerischen Ansprüchen wie manche Autoren oder Serienmacher, denen man ja auch vorwerfen kann durch eigensinnige Plotentwicklungen ihre Fans vergrault zu haben. Bei einer Firma lässt sich zwar auch noch von einer übergeordneten "Vision" sprechen, wie bei einem einzelnen kreativen Kopf, doch diese Vision ist für gewöhnlich nur noch auf einem materialistischen Fundament aufgebaut. Es geht nicht mehr darum eine "gute" Geschichte zu erzählen oder die Geschichte, die der Schöpfer geplant hat, sondern Geld zu verdienen, zu expandieren oder das Kerngeschäft zu stärken. Dabei kann sich die Menge an Content durchaus erhöhen und wenn man einzelne Bereiche lang- oder mittelfristig in die Hände von kompetenten "Schöpfern" legt, kann es durchaus so sein, dass ein recht hoher Qualitätsstandard erhalten bleibt.
Ich denke in diesem Fall auch an einen Konzern wie Disney und das von diesem gekaufte Lucasfilm. Das Star Wars-Franchise lebte zumindest bis zum großen Ausverkauf von der alles vereinenden Person George Lucas, der zumindest seine Filme und das von ihm gestartete Serienprojekt The Clone Wars zu einem größeren Ganzen machte. Die Serie war von Lucas gewollt und sein Mittel die Lore weiter auszubauen. Natürlich gab es auch unzählige andere Projekte, die Lucas nicht mitgestaltet hat und bei denen er de facto lediglich von seinem Veto-Recht Gebrauch machen konnte. So ein George Lucas konnte auch gar nicht jeden einzelnen Comic, Roman oder Videospiel-Auftritt von Charakteren aus seinem Franchise überwachen. Dementsprechend kann so manches Produkt aus diesem verwilderten Teil des Star Wars-Franchise zwar sehr nahe an Lucas Vision liegen oder auch sehr fern davon angesiedelt sein, man weiß es schlicht und einfach nicht, solange sich Lucas nie dazu geäußert hat. So gibt es halt auch einen sehr großen Spielraum für die Debatten unter Fans, welche abseits von Lucas "Lebenswerk" eine Hierarchie unter den Werken des "Expanded Universe" festlegen wollen oder wollten, denn seit Disneys Übernahme von Lucasfilm wurde der gesamte nicht von Lucas mitgestaltete Content vom Tisch gefegt und mit der Aufschrift Legends versehen. Für die hartgesottenen Fans ist das ein Sticker der Beschämung, denn so wurde praktisch all das worauf man sich jahrelang gestützt hat für ungültig erklärt und die "Geschichtsbücher" des Star Wars Universums werden neu geschrieben. Klar, dass einem das manche Experten der Legends übel nehmen, immerhin ging einem da ja auch der Expertenstatus verloren. Unter Disney gibt es nun zwar keinen George Lucas mehr, aber dafür den Serienmacher Dave Filoni, der als Lucas Lehrling in der Entwicklung von The Clone Wars einiges von seinem Mentor gelernt haben dürfte. Das "Filoniverse" ist nun weitgehend die Seriensparte des Star Wars-Franchise, die einst mit The Clone Wars begann und aktuell The Mandalorian, The Book of Boba Fett und The Bad Batch umfasst. Was die Serien miteinander verbindet fehlt in den Filmen bis dato völlig, denn während Filoni bemüht war die Serien miteinander zu verweben und in die Lore zu integrieren, durften die Filmemacher quasi ihre persönliche Fan Fiction auf die große Leinwand bringen. Ich sehe die Schuld in diesem Fall bei der Filmindustrie, die sich ja oft nach großen Namen sehnt und bereit ist diesen alle möglichen Freiheiten zuzugestehen. Serien sind da eine sichtbare Nummer kleiner und dort müssen die Regisseure nicht nur mit weniger Lohn und Ruhm auskommen, sondern sich auch oft genug an den von ihren Vorgängern und Kollegen etablierten Plot und Ton halten. In Sachen Star Wars haben es die Serien schlichtweg einfacher. Aber gerade die Kollegen bei Marvel zeigen, dass man auch in Filmen Konsistenz beweisen kann, vor allem wenn es gelingt Regisseure für mehrere aufeinander folgende Projekte zu gewinnen. Man kann sich am Beispiel der Disney-Star Wars-Filme durchaus vorstellen, wie Guardians of the Galaxy ohne einen James Gunn gefloppt wäre oder was aus der Avengers Infinity-Saga (Avengers: Infinity War und Endgame, sowie Captain America: The Winter Soldier und Captain America: Civil War) geworden wäre, hätte man für jeden dieser Filme andere Regisseure und Drehbuchautoren engagiert.
Filmproduktionen lassen sich von ihrem Umfang her vielleicht mit der Entwicklung eines Videospiels vergleichen, wobei Film-Regisseure am Ende aber vielleicht doch jene sind, die ihrem Produkt auch wirklich ihren Stempel aufdrücken können. Bei Live-Services sieht die Sache aber dann wohl doch vielleicht eher wie bei Serien aus. Wer gerade auf dem "Regiestuhl" sitzt ist weniger wichtig, als dass es weiter geht. Man ist kein individueller Künstler mehr, sondern macht nur seinen Job, für die wirkliche Freiheit muss man sich schon einen Namen gemacht haben oder gleich sein eigenes Studio aufbauen. Die Produktion eines Game Updates kann es sich kaum erlauben Budgets zu überschreiten oder andere Sonderwünsche geltend zu machen. Alles muss innerhalb bestehender finanzieller und organisatorischer Grenzen möglich sein. Da kann man durchaus Mitgefühl und Verständnis dafür haben, wenn ein Producer darüber klagt, dass eben nicht alles möglich war, was man in einem Update erreichen wollte. Am Ende lässt sich für spitzfindige Mitarbeiter oder Kollegen sicher noch einiges ausgraben, was in der Produktion falsch gelaufen ist und auf das Konto des besagten Producers gehen sollte, doch als Spieler erfährt man davon so gut wie nie etwas. Dass auch die Unterhaltungsindustrie nicht frei von den alltäglichen Ärgernissen des Berufsalltags ist wird aber gerne ausgeblendet, was ja auch daran liegt, dass Spiele meist eine Möglichkeit zur Realitätsflucht darstellen. Am Ende will man meist auch gar nicht zu genau wissen, was hinter dem Vorhang vorgeht, denn das würde schlussendlich auch die Illusionen zerstören, die man sich extra ausgesucht hat.
Was eine Community will und ein Entwicklerstudio geben ist zwar nicht immer miteinander in Einklang zu bringen, doch es macht schon einen großen Unterschied, ob Wünsche zu erfüllen ein Budget sprengen würde oder ob einem das Verständnis für diese Wünsche fehlt. Selbst die einstigen Visionäre an der Spitze können blind für die Wünsche ihrer Kunden werden und trotzdem wird man als "Künstler" wohl doch der Ansicht sein, das richtige zu tun und dabei missverstanden zu werden. Nicht man selbst hat sich von den Fans entfernt, sondern die Fans haben sich von der ursprünglichen Idee entfernt. Beides kann natürlich richtig sein, was die Sache nicht einfacher macht. Manchmal entwickeln sich Wünsche über das ursprünglich gebotene hinaus. Bleibt man jedoch bei der ursprünglich angebotenenen Leistung, dann ist das fortan zu wenig. Entwickelt man diese Leistung in eine Richtung weiter, die sich ebenfalls nicht mit den neuen Vorstellungen deckt, dann ist das immer noch zu wenig, schafft aber Irritationen, denn der Kunde fühlt sich zunehmend missverstanden.
Niantic hat eines mit EA gemein, auch das Entwicklerstudio aus San Francisco hat sich schon an einigen Franchises versucht und ist damit baden gegangen. Anders als EA hat man jedoch keine solchen Franchises gekauft, sondern lediglich AR-Spiele für diese entwickelt. Niantics größter Erfolg ist und bleibt Pokémon GO, während andere Projekte wie Catan: World Explorers oder Harry Potter: Wizards Unite bisher gefloppt sind. Allerdings hat man auch noch die Eigenproduktion Ingress, sowie die 2021 gestarteten Spiele Tansformers: Heavy Metal und Pikmin Bloom im Portfolio, wobei das Scheitern von Harry Potter: Wizards Unite vielleicht auch schon angedeutet hat wie es mit Transformers und Pikmin Bloom in 2 Jahren aussehen wird. Der Erfolg von Pokémon GO ist bis dato unerreicht und selbst die Pokémon Company hat einst nicht mit diesem gerechnet, sodass man nach Pokémon GO gleich noch einige andere Mobile Games in Angriff nahm, die allerdings alle hinter diesem größten Erfolg zurück blieben. Da Pokémon GO nur durch Niantic entwickelt wird kann man davon ausgehen, dass alle Einnahmen aus dem Cash Shop des Spiels auch einem Lizenzierungsvertrag mit der Pokémon Company unterliegen. Solche Verträge können sehr unterschiedlichen aussehen und unterliegen meistens einer NDA. Wie man in der jüngsten Vergangenheit von Sonys und Marvels Deal um die Spider-Man-Filme erfahren hat kann es in diesem Geschäft jedoch sehr hart zugehen. Mehr als 50% für den Lizenzgeber sind da durchaus vorstellbar, auch wenn dieser praktisch 0 laufende Kosten durch den Vertrag tragen muss. Der Entwickler hat hingegen alle mit der Produktion und Bereitstellung entstehenden Aufwände zu tragen. Da kann man sich schon fragen, warum Firmen Deals wie diese eingehen? Zunächst einmal kann man durch eine solche Kooperation mit einem namhaften Franchise den Wert seines Unternehmens steigern. Plötzlich ist man nicht mehr der Entwickler eines moderat erfolgreichen Spiels mit einem interessanten und vorerst vielleicht noch einzigartigen Spielkonzept, sondern spielt auf einer viel größeren Bühne. Dafür muss die Kooperation noch gar keinen Mega-Erfolg hervorbringen wie Pokémon GO. Was Niantic jedoch für sich verbuchen kann und nicht mit der Pokémon Company teilen muss sind die Daten die man aus Pokémon GO gewinnt. Ingress und Pokémon GO teilen sich zwar die hinter Niantics AR-Welt versteckte Infrastruktur, doch in Sachen AR-Mapping kann man bei der Ingress-Community wohl nur auf einen viel kleineren Personenkreis zurückgreifen. Und damit wären wir beim großen Problem mit Pokémon GO und einem Entwicklerstudio, das seine Community zu ignorieren scheint.
Niantic ist klar, dass all seine Einkünfte aus Itemverkäufen mit der Pokémon Company teilen muss, doch wie in den letzten Jahren festzustellen war präsentiert man sich überraschenderweise immer seltener als Spieleentwickler - im Gegenteil, Niantic bemüht sich immer öfter darum, sich als AR-Firma darzustellen. So ist Pokémon GO also nur ein Mittel zum Zweck, um AR-Daten zu sammeln? Zumindest scheint es so. Für die Spieler ist das unbezahlte Sammeln von AR-Daten (ich meine hier nicht bloß das Sammeln von Bewegungsdaten via GPS, sondern das von Niantic via Pokémon GO beworbene und geförderte AR-Scannen von "Sehenswürdigkeiten") natürlich ziemlich unattraktiv und bei weitem nicht warum sie Pokémon GO spielen. Niantic will diese Schiene jedoch umso stärker ausbauen, weil man hier als Firma sein Profil schärfen kann und die Pokémon GO-Spieler müssen eben als unbezahlte Mitarbeiter oder Versuchsobjekte her halten. So wichtig Pokémon GO für den bisherigen Erfolg von Niantic ist, aus unternehmerischer Sicht weiß man, dass man sich nicht ewig auf seine Cash Cows verlassen kann. Als Fan kann es einem hingegen eher egal sein, was aus einer Firma wird, deren Produkte man nicht mehr konsumieren will. Spieler und Entwickler leben sich in diesem Sinne immer weiter auseinander. Corona hat diese Kluft noch offensichtlicher gemacht, denn die von Niantic getroffenen Maßnahmen (erhöhte Interaktionsreichweiten, die Einführung von Fern-Raid-Pässen, die Entfernung von Km-Voraussetzungen für die PVP-Kampfliga, sowie die Erhöhung von Spawnraten durch Rauch) ermöglichten plötzlich ein bequemes Spielen von zu Hause aus. Der große Profiteur von dieser Situation waren Spieler die im Normalfall aufgrund ihres Wohn-, Arbeits- oder Lebensraums gegenüber Spielern in urbanen Zentren seit Beginn an benachteiligt waren. Wenn es an Spielern in der Umgebung mangelt, dann leiden darunter tendentiell auch die Spawns und in ländlichen Gegenden wird man die Anzahl der verfügbaren Pokéstops oder Arenen auch an einer Hand abzählen können. Dank den Corona-Boni konnte man aber das Spielerlebnis eines Stadt- oder Großstadtbewohners teilen, während man vielleicht wie in meinem Fall immer noch neben eimem Pokéstop und einem Schafzüchter festsaß. Das geringere Spawnaufkommen war kein Problem mehr und erlaubte es dank Rauch XP und Staub zu erfarmen, den man sonst nicht bekommen hätte. Und wo man sonst vielleicht kein einziges Mal im Jahr damit rechnen konnte genügend Spieler für einen legendären Raid zusammen zu bekommen standen via Fern-Raid legendäre Raids aus der ganzen Welt zur Verfügung. Wer nun spekuliert, dass dieses emerging gampelay dazu führte, dass der Umsatz des Cash-Shops in die Höhe schoss, der liegt goldrichtig. Pokémon GO erlebte trotz oder dank des Corona-Programms zwei seiner umsatzstärksten Jahre und das obwohl man unter anderen Umständen wohl darüber spekuliert, ob das AR-Game Jahre nach seinem Release nun nicht langsam am Absterben wäre. Wäre Niantic ein echtes Spieleentwickler-Studio, dann hätte diese Erfahrung mit den Corona-Umsätzen wohl dazu geführt, dass man sein Geschäftsmodell tatsächlich umgebaut hätte. Aber Niantic ist ein AR-Entwickler und Pokémon GO ist ein AR-Spiel. Außerdem gibt es wie schon an früherer Stelle erwähnt wohl eine Lizenzvereinbarung, an der Niantic weit weniger verdienen könnte, als man zunächst annehmen würde. Statt sich über kurzfristige Gewinne zu freuen und sich ganz auf die Mikrotransaktionen zu verlassen hat man bei Niantic jedoch größere Pläne als Pokémon GO und das schlägt sich vor allem seit Ende 2021 darin nieder, dass man die neuen "Features" wieder nerft und abbaut, um das "Erkunden und Entdecken" der Welt (aka womit man AR-Daten sammelt) wieder zum treibenden Faktor für den Ingame-Erfolg zu machen. Niantic ist sich treu geblieben, aber die Fans der dank Corona implementierten Features sind umso mehr frustriert. Mancherorts wird man durch äußere Umstände eben als Spieler stark diskriminiert, weil man außerhalb der für die AR-Kartierung relevanten Regionen lebt und im Grunde außer durch Ingame-Käufe nichts zum Spiel beiträgt. Niantic nimmt es in Kauf Spieler zu vergraulen und sogar als "zahlende Kundschaft" zu verlieren, was den Rückschluss zulassen könnte, dass man den Wert von "urbanen Entdeckern" schlussendlich eben über den von "zahlungswilligen Landeiern" stellt. Frustration, Protest und sogar Ragequits unter Pokémon GO-Influencern waren die bis dato bekannteste Folge des Rollbacks der Corona-Features. Niantic hat also auch einen gewissen Imageschaden zu ertragen und je unattraktiver die Cash-Shop-Items werden, desto weniger wird man auch durch diese verdienen. Alles für die Zukunft des Unternehmens, das sich als Weltmarkführer im Bereiche AR positionieren will?
Ich habe Verständnis für Niantics Geschäftsinteressen und den dahinter steckenden langfristigen Plan, aber als Spieler bin ich darüber schockiert, wie sehr man gerade das vergisst, womit man aktuell wohl immer noch Geld verdient - seine communityabhängigen SPIELE. Niantics Communitymanagement und Reaktion auf die Empörung nach dem Abbau der Corona-Features legt den Verdacht nahe, dass man sich überhaupt nicht mehr als Spieleentwickler versteht. Warum produziert man dann aber immer noch Spiele (wie zuletzt zum Transformers-Franchise oder auch Pikmin Bloom)? Als Spieler ist man im Fall Niantics nun mit der Realität konfrontiert, dass dieser Entwickler eben nicht mehr der Geldbörse seiner Spieler hinterherjagt oder versucht diesen Wünsche von den Augen abzulesen. Der eingeschlagene Kurs ist im wahrsten Sinne des Wortes ein "Koste es was es wolle", um die Bedeutung der AR-Komponente von Pokémon GO zu stärken.