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Der mächtigere Skywalker-Zwilling

Der Episode IX-Roman fasst in Worte was man sich bisher nur anhand des Films und einer Kurzgeschichte über Yodas Erwartungen auf Dagobah zusammenreimen konnte...

Auf Youtube hat der entsprechende Absatz bereits die Runde gemacht und nachdem ich Corona-bedingt noch keine Ausgabe der Romanadaption von Episode IX in meine Finger bekommen konnte kann ich mich bei meiner Verifikation lediglich auf die via Audible zugängliche Hörbuch-Ausgabe stützten, aber es scheint zu stimmen, dass Leia aufgrund ihrer Erziehung und Eignung als Anführerin wohl deutlich mehr im Einklang mit den Jedi-Idealen stand als ihr Bruder. Diese Balance dürfte Leia auch mächtiger gemacht haben, da sie im Gegensatz zu Luke wohl eher dazu in der Lage gewesen wäre ihr Potential voll auszuschöpfen. Und immerhin, selbst als Nicht-Jedi oder Jedi-Akademie-Abbrecherin war sie zu einigem fähig, was man den meisten Padawanen nicht zugetraut hätte.

 

Leias besondere Eignung als Jedi war es wohl auch, warum sie schlussendlich die bessere Mentorin für Rey gewesen sein dürfte und im Gegensatz zu Luke nicht einfach den Kopf in den Sand steckte als das Lebenswerk ihrer Familie auf dem Spiel stand. Während sich Luke ins Selbstexil flüchtete startete Leia ihre eigene Privatarmee und gab bis zuletzt nicht die Hoffnung auf Ben Solo aus den Fängen Snokes bzw. Palpatines zu befreien. Rian Johnson mag Luke Skywalker nachhaltig ruiniert haben, aber es ist nicht seine "Schuld", dass Leia nun die Rolle des besseren Skywalkers eingenommen hat. Meiner Meinung nach liegt die Verantwortung für Leias "Buff" ganz bei Lucasfilm, das diesen bereits in der Romanadaption zu Episode VII andeutete und zuletzt in der Kurzgeschichtensammlung "From a Certain Point of View" Meister Yoda den Gedanken fassen ließ, dass ihm Leia als Jedi-Schülerin lieber wäre als Luke. Leia hätte die Geduld, die Selbstlosigkeit und die Opferbereitschaft, die aus Yodas Sicht von einem Jedi-Ritter verlangt werden würden.

 

Natürlich ist die Stärkung von Leias Rolle für Anhänger des Expanded Universe ein massiver Retcon, da Leia dort für gewöhnlich nur die Rolle eines weiblichen Charakters in einem Shōnen Anime zukam. Verglichen mit dem Jedi-Großmeister Luke Skywalker oder auch dessen Gattin Jedi-Meisterin Mara Jade-Skywalker war Leia Organa Solo nur eine gewöhnliche Jedi-Ritterin, die trotz ihrer staatsmännischen Erfahrung zuletzt nur aufgrund ihrer Rolle als ehemalige Padawan des Jedi-Rats-Mitglieds Saba Sebatyne und aufgrund ihrer Verwandtschaft mit dem Großmeister als Quasi-Statistin zu einigen Jedi-Rats-Sitzungen eingeladen wurde. In den Legends durfte man Jedi Organa Solo nicht ernst nehmen und selbst Leias Kinder und ihre Enkeltochter neigten dazu die Tochter Anakin Skywalkers hinsichtlich ihrer Machtfähigkeiten zu überflügeln. Spätestens während der Yuuzhan Vong-Saga driftete Leia in die Rolle eines Nebencharakters wie Chewbacca ab und nach 19 Bänden dieser Reihe folgten rund 22 Bücher in denen sich dieser Eindruck kaum änderte.

 

Auf den ersten Blick würde ich sagen, der Kanon hat einen besseren Job geleistet, um Leias Potential darzustellen. Doch was war der Preis dafür? Die Hoffnung, dass die kanonische Kontinuität geordneter und besser durchdacht sein würde als der Flickenteppich der Legends-Ära, hat sich zerschlagen. Schlussendlich kopierte man für Episode IX sogar mehrere Legends-Konzepte, die aber selbst dort nicht unumstritten waren. Wer hat uns schlussendlich den besseren Klon-Imperator geliefert? Dark Empire oder Episode IX? Auch der Kanon hat eine Version von Thrawn, aber die kanonische Thrawn-Trilogie ist vergleichsweise völlig belanglos.

 

Meiner Meinung nach ist in der Sequel-Trilogie zuviel falsch gelaufen, als dass man sie noch durch dutzende Retcons retten könnte. Man wird es sicher versuchen, aber ich sehe das nächste Problem darin, dass man sich hinsichtlich der Aufarbeitung der Zwischenkriegszeit von Episode VI bis VII ziemlich ins Knie geschossen hat. Claudia Grays BLOODLINE hat ja bereits bewiesen, wie unspektakulär diese Ära zu verlaufen scheint. Man hat das Happy End von Episode VI geopfert, um den Konflikt mit den Resten des Imperiums in der AFTERMATH-Trilogie enden zu lassen. In den Legends befreite man die Galaxis zumindest nicht einfach so innerhalb eines Jahrs und warf dann die Flinte ins Korn. Meine Hoffnungen hinsichtlich der "Erlösung" der Sequel-Ära liegen hinter dieser. Man hat in den Sequels durchaus einen interessanten Cast geschaffen, mit dem sich über Episode IX hinausgehende Geschichten erzählen lassen. Befreit von den Vergleichen mit der Legends-Kontinuität könnte man auf Episode IX aufbauend eine Version des Expanded Universe schaffen, die im Grunde einiger der gleichen Herausforderungen bewältigen müsste, wie die Neugründung des Jedi-Ordens, die Bekämpfung übler Kriegsherrn und den Aufbau einer demokratischen Regierung. Es scheint mir zu bequem anzunehmen, dass die Erste Ordnung mit all ihren Soldaten und Nachschubbasen in den Unbekannten Regionen auf einen Schlag aufgehört hat zu existieren oder dass alle Sith-Kultisten ihre Posten verlassen haben, um in das Amphitheater auf Exogol zu ziehen, wo sie ihr Tod ereilte. Zumindest bei letzterem hätte dann ja ein bemerkenswerter Reiseverkehr nach Exogol geherrscht und wo hätten all diese Kultisten ihre Schiffe oder Yachten geparkt? Natürlich wäre ein Shuttleservice denkbar gewesen, aber sollte Exogol nicht so geheim und abgeschottet sein, dass man gar nicht erst den Weg auf den Planeten findet, wenn man keine Navigationsdaten von Palpatine erhalten hat oder einen der Sith-Wegfinder besitzt? 

 

Leia zu Yodas Wunsch-Padawan zu machen hat aber auch einen etwas bitteren Nachgeschmack, denn vor seinem Exil auf Dagobah war Yodas letzter Padawan ein gewisser Dooku, der später zu Darth Tyranus wurde und sich arrogant und verachtungsvoll zu zeigen verstand. Count Dookus wurde nicht erst durch seinen Austritt aus dem vermeintlich egalitären Jedi-Orden zu einem arroganten Aristokraten, sondern wuchs bereits in frühen Jahren in diese Rolle hinein, ohne dass er auf eine frühkindliche Prägung durch sein Elternhaus verweisen konnte. Trotz der Abwesenheit des Einflusses seiner adeligen Herkunft entwickelte sich bereits der Jedi-Schüler Dooku aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Benehmens zu jemanden, der von seinen Mitschülern als der "kleine Lord" bezeichnet wurde. Dooku war aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Charakters jemand, dem eine große Karriere im Jedi-Orden bevorstand und genau deshalb wählte ihn Yoda auch als seinen Padawan aus, obwohl das für einen aktiven Jedi-Großmeister höchst ungewöhnlich war. Dooku wurde gewissermaßen zu einem Kronprinzen des Jedi-Ordens ausgebildet und daher auch in die höchsten Kreise der galaktischen Politik eingeführt, ehe er sogar in den Jedi-Rat aufgenommen wurde. Die Schuld an Dookus aristokratischen Gehabe kann nicht bei seiner Familie gesucht werden, sondern liegt bei Yoda und seinen Jedi-Kollegen. Yodas mangelhafte Selbstreflexion wurde bereits in Episode II erkennbar, doch wenn man die Prequels samt The Clone Wars mit der OT zusammenführt erkennt man, dass Order 66 nicht unbedingt dazu geführt hat, dass Yoda oder Obi-Wan ihre bisherigen Vorstellungen über Bord warfen. Selbst der erleuchtete und zum Machtgeist aufgestiegene Obi-Wan belügt Luke und drängt diesen dazu Darth Vader zu ermorden, was er als Jedi-Meister einst selbst nicht vollbracht hat. 

 

Lukes Stärke als Jedi lag daran seinen eigenen Weg zu finden und nicht der perfekte Jedi-Schüler zu sein, was ihm half in die Fußstapfen des einzig wahren Helden unter den alten Jedi zu treten - Qui-Gon Jinn. Yodas Hoffnungen hinsichtlich Leia spiegeln auch seine Bedenken gegenüber dem schlechten Schüler Luke wieder. Hätte sich Leia Yodas Wünschen und Ansprüchen gefügt wäre sie zwar die perfekte Jedi-Schülerin geworden, hätte ihre Bedenken hinsichtlich der Politik des Jedi-Ordens jedoch hinunter geschluckt, anstatt wie Luke offen zu rebellieren. Für Dooku ging dieser stille Ärger schlussendlich nicht gut aus, denn anders als Qui-Gon, der den Jedi-Rat oft genug missachtete und daher seine Karrierechancen verspielt hatte, war Dooku weitgehend bemüht seine Position im Orden und das Renommee des Ordens gegenüber der Öffentlichkeit zu stärken.

 

Yoda lastete Luke an zuviel von seinem Vater in sich zu tragen, während Leia ihrer Mutter zu ähneln schien, die allerdings in einem Teufelskreis gefangen war, in welchem sie trotz ihrer Bedenken gegenüber der politischen Entwicklung der Republik dieser die Stange halten musste. Genau das mag Yoda bewundert haben, da er die Jedi in einer ähnlich korrumpierenden Rolle gefangen sah. Padme strebte jedoch weniger nach dem Sturz Palpatines und der Rückkehr zur Demokratie, als danach, sich und ihre junge Familie von diesem Brandherd zu entfernen. Derartige Bindungen hätte der Jedi-Großmeister jedoch scharf verurteilt und so hätte sich Leia wohl auch in einer alternativen Zeitlinie zu Gunsten ihrer Familie wieder von ihrem Jedi-Erbe abgewandt, so wie sie es im Kanon ja auch getan hat. Bei Luke war klar, dass er wegen seiner "Abenteuerlust" wohl unbedingt ein Jedi-Ritter werden will, doch Leia sah darin keine Flucht aus ihrem "tristen Arbeitsalltag". Am Ende läuft es vielleicht darauf hinaus, dass Leia Karrierealternativen zu einer Laufbahn als Jedi-Meisterin besessen hätte, warum sie sich im Kanon und bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch in den Legends dazu entschied mehr zum Wohl der Galaxis beizutragen, indem sie eine Führungsrolle in der galaktischen Politszene einnimmt. Wahrscheinlich hätte Leia in der Abgeschiedenheit einer Jedi-Akademie auch der Trubel ihres gewohnten Lebens gefehlt.