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Messiah Season 1 (Spoiler-Review)

Warum die Serie so brisant ist und wessen "religiöse Gefühle" sie verletzt, lässt sich kaum sagen, ohne zu spoilern...

Dass Messiah von verschiedensten religiösen Gruppierungen angefeindet und beschuldigt wird ihre religiösen Gefühle zu verletzen wundert mich nicht. Ich frage mich aber, wie viele dieser Kritiker haben die Serie tatsächlich gesehen (und damit auch den Plottwist herausgefunden) und beurteilen sie nicht einfach aufgrund des Trailers, Hörensagen oder Zusammenschnitten die auf Youtube gepackt wurden. Anspielungen auf Religionen provozieren immer und Messiah stochert in einem Hornissen-Nest, denn religiöse Hardliner kommen "gefühlt" genauso schlecht weg wie Freigeister, die sich willig der neuen Bewegung anschließen würden. Am besten fährt man in Messiah noch als Zweifler, wobei die Rolle dieser "gottlosen Ungläubigen" prominent mit Angehörigen oder ehemaligen Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Verbindung gebracht wird. Abgesehen davon haben aber auch der indisch/pakistanisch-stämmige US-Außenminister und der weiße, vermutlich angelsächsich-protestanische Stabschef des Weißen Hauses am Ende doch recht damit, dass sie nicht an die Wiederkehr des Messias geglaubt haben. Beide entscheiden sich jedoch für typisch weltliches Handeln, das jede Auferstehungsromantik ablehnt, denn sie verraten den angeblichen Christus an den israelischen Geheimdienst und die genauso unheilige Presse.

 

Der Zauber des angeblichen "Second Coming" hielt auch bei mir erst einmal eine Weile an, jedenfalls bis sich der Christus-Imitator Payam Golshiri zum ersten Mal mit einem israelischen Geheimdienstagenten Aviram Daham an einen Tisch setzte. Golshiris Umgang mit einem israelischen Verhörspezialisten, der schon andere religiöse Fanatiker zur Aussage gebracht war für mich ein Grund an seiner Heiligkeit zu zweifeln zu beginnen. Golshiris Setup erinnerte mich zu sehr an einen Mentalisten, der es mittels cold reading schafft seinem Gegenüber einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen, doch Golshiri trifft Daham mit einigen viel zu persönlichen und genauen Angriffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass cold reading für solche Treffer ausreichen würde, es sei denn Golshiri bekam entsprechende Informationen zugesteckt. Die große Kunst des Illusionismus ist es ja auch, durch Ablenkung und Assistenten vorzutäuschen, man könnte die Gedanken seines gegenübers lesen oder sich einer übernatürlichen Informationsquelle bedienen. Ich sehe Golshiris große Bewährungsprobe im Duell mit dem vom Glauben abgefallenen jüdischen Folterer also als mögliches Resultat seiner unerklärten Zaubertricks. Golshiri dürfte nicht alles dem Zufall überlassen haben, auch wenn er uns später als gelernter Zauberer und Student der Politikwissenschaftler und Weltreligionen vorgestellt wird. Payam Golshiri ist das perfekte Paket, jemand der sich seiner Wirkung und seines Auftritts bestens bewusst ist. Aber er kann seine Tricks eben nicht völlig alleine durchgezogen haben. Nun stellt sich für mich die Frage, wo sich diese Assistenten des Bühnenmagiers versteckt halten. Klar scheint zu sein, dass Golshiris Flug von Jordanien nach Mexiko und sein Grenzübertritt in die USA vom russischen Auslandsgeheimdienst geplant und ausgeführt wurde. Es ist vielleicht eine der großen Schwächen dieser ersten Staffel, dass diese Komponente des russischen Einflusses auf den falschen Christus nur angedeutet, aber nie gezeigt wird. Einzig Golshiris im russischen Exil lebender Anarchisten-Mentor wird auch gezeigt, aber dieser stellt sich letztendlich als Jünger Golshiris dar, da selbst sein anarchistisches Manifest vom kulturellen Terroristen auf einem Werk Golshiris basieren soll. Der Cyber-Terrorist im russischen Exil ist also wohl so etwas wie Golshiris Evangelist und die Existenz eines solchen lässt auch Raum für eine Fortsetzung offen.

 

Warum ich an eine zweite Staffel glaube? Weil selbst Scharlatane wie Payam Golshiri in der Lage sind ihren Einfluss auf einen Teil ihrer Anhängerschaft zu behalten, selbst wenn sie enttarnt wurden. Und vielleicht war das sogar Golshiris Plan, denn diese fanatischen Anhänger können nun überall platziert sein und würden sich wohl als Netzwerk für künftigen Aktionismus anbieten. Aber er ist doch als Schwindler aufgeflogen? Ja, doch wenn man sich die Geschichte mancher christlicher Weltuntergangskirchen ansieht, muss das Ausbleiben der Apokalypse kein Grund sein dem falschen Propheten die Gefolgschaft zu versagen. Manche verlieren den Glauben, aber andere bleiben und diese Gläubigen sorgen dafür, dass so manche adventistische Kirche heute noch existiert. Brisant finde ich daher auch, dass der amtierende US-Präsident in Messiah als leicht zu manipulierend und als Mormone dargestellt wird. Bedient sich der falsche Messias auch des Vorbilds Jospeh Smiths? Langsam frage ich mich ja, welcher Religionsgemeinschaft der Schöpfer dieser entstammt oder von welchen US-amerikanisch geprägten Religionsströmungen er beeinflusst wurde. Messiah orientiert sich meiner Meinung nach eindeutig an einem US-amerikanischen Publikum, weshalb Staaten wie die Russische Föderation, die Islamische Republik Iran, das kriegsgeplagte Syrien, Jordanien oder Palästina eher als Hintergrund für die Darstellung der "dunklen Mächte" genutzt werden. Messiah spielt mit politischen Schlagwörtern, versucht dann jedoch unpolitisch zu bleiben und vereinfacht damit die politischen Hintergründe im Nahen Osten zu Klischees. Was ich als besonders problematisch erachte ist der finale Akt des Story-Arcs um den Syrer Jibril, als dieser durch einen Selbstmordanschlag eines in Jordanien ausgebildeten islamistischen Terroristen ermordet werden soll. Warum? Jibril wurde von einem palästinensischen (schlimmstenfalls moderaten) Scheich in Schutz genommen und mit einer pro-palästinensischen, aber keineswegs anti-islamischen Botschaft ausgestattet. Das politische Kapital Jibrils in die Luft zu jagen finde ich unerklärlich, zumal er sich durch "seinen" Scheich ja als durchaus manipulierbar erwies. Dass er schlussendlich aufgrund von Lampenfieber eine Freistilrede los lassen würde, weil er seinen einstudierten Text vergessen hat, war nicht absehbar. Man hätte ihn aber aufgrund seines häretischen Gedankenguts von der Bühne zerren können. Ist der Plot um Jibril also ein extrem stupides Beispiel dafür, dass die islamistischen Förderer der palästinensischen Widerstandsbewegung besorgt waren ihren Einfluss auf dieses Volk und die in der Serie entfachte Intifada zu verlieren? In diesem Fall fände ich einen Selbstmordanschlag als falsch gewähltes Mittel zum Zweck, auch wenn es in westlichen und US-Medien vielleicht als "go to" Methode gesehen wird. Im realen Nahen Osten würde man politische Gegner wie Jibril am ehesten mit Autobomben aus dem Weg räumen, aber der Selbstmordanschlag wurde wohl aus dem Grund gewählt Samir und Jibril noch einmal gegenüberzustellen.

 

Messiah ist in meinen Augen nicht makellos, was ich bei nur 10 Folgen auch nicht anders erwartet hätte. Aber die Serie ist spannend und könnte auch in einer zweiten Staffel weiterhin einen charismatischen Bösewicht zeigen, auch wenn er nun als anarchistischer Terrorist enttarnt ist. Eine zweite Staffel hätte den Vorteil die verschiedensten religiösen Weltuntergangs- und Erlöser-Bewegungen ins Visier zu nehmen, was aber bei solchen überhaupt nicht gut ankommen würde. Für uns Europäer mögen solche Religionsgemeinschaften eher Randerscheinungen sein und als Sekten verunglimpft werden, aber in den USA sind auf Personenkulten aufgebaute Kirchen keineswegs so selten. Staffel 2 würde also vielleicht noch stärker zeigen, wie sehr die Serie von ihrem kulturellen Hintergrund geprägt ist und wie dieser in verschiedenen Weltgegenden auch sehr unterschiedlich aufgefasst wird. Man denke etwa an die Rolle der israelischen Geheimagenten und der jüdischen CIA-Agentin, von welchen man in katholisch oder auch protestantisch geprägten Kreisen wohl erwarten würde, dass sie Golshiri im übertragenen Sinne für 30 Silberlinge verkaufen würden. Dieses antisemitische Klischee spielt indirekt eine wichtige Rolle bei der Kritik an Messiah, da es sich sehr einfach in den Plot hinein interpretieren und für einen Aufschrei der Empörung nutzen lässt. Ich finde die Serie sehr interessant und spannend, weil ich keine emotionale Bindung zu den dargestellten Religionsgemeinschaften besitze, aber auch ich bin kulturell von einem christlichen Umfeld beeinflusst. Was ich in Messiah sehe ist ein Polit-Thriller über einen grandiosen Betrug, der sich religiöse Überzeugungen und Gefühle zu Nutze machte. Ich kann mich über diese Geschichte amüsieren und interessiere mich für die handwerkliche Technik dieses Betrugs, aber anderen wird jede religiöse Anspielung eben sauer aufstoßen.